Newsletter 59

November 2014

Diese Ausgabe enthält folgende Themen: 

  • Kolumne: Schwarz und schwul
  • Portrait Alfred Bob Steffen

   

Schwarz und schwul

eos. Er war der grosse geistige Mitkämpfer Martin Luther Kings. Indem die Weissen uns akzeptieren, befreien sie sich selbst und werden zu gleichwertigen Bürgern ohne Furcht, ohne Hass. So - frei übersetzt - lautete die Botschaft des vor neunzig Jahren geborenen schwulen Negers aus Harlem: James Baldwin (1924-1987).

Er war einer der grossen Schriftsteller der USA. Aber sein Name ist jungen Lesern kaum mehr geläufig. Das darf nicht sein. Über sich selber sagte er:

"Ich war das älteste von neun Kindern. In Harlem, den Negerslums von New York. Mein Vater war Prediger einer kleinen Kirche. Er war ein strenger Mann. Die Geschichte meiner Kindheit bietet das übliche Bild, [...] ich kann sie abtun mit der Bemerkung, dass ich sie bestimmt nicht noch einmal erleben möchte [1943, Baldwin war 19, starb der Vater und die Mutter gebar am selben Tag das neunte Kind]. Sobald meine Geschwister geboren waren, nahm ich sie mit der einen Hand in die Obhut, in der anderen hielt ich ein Buch. Schon als ich lesen lernte, begann ich Romane zu entwerfen. Ich habe meine drei Brüder und fünf Schwestern aus Harlem herausgeholt. Sie alle haben gute Berufe - ich habe sie ausbilden lassen. Meiner Mutter habe ich ein Haus gekauft. Manchmal denke ich jetzt [1965], dass das alles ein Irrtum gewesen sein könnte. Ich hatte nicht genügend Zeit, über mich selbst nachzudenken." (Aus Heinz Liepman im Tages-Anzeiger vom 25. Juni 1965)

Und in einem Brief an seinen gleichnamigen Neffen schrieb James Baldwin:

"Du hast das Gesicht deines Vaters, meines Bruders, [...] und deines Grossvaters, den du nie gesehen hast. Der hatte ein schweres Leben. Er war besiegt, lange bevor er starb, weil er im Grunde seines Herzens wirklich glaubte, was die Weissen über ihn sagten. Darum war er so fromm. Du und dein Vater zeigen keinerlei Neigung zur Frömmigkeit: Ihr gehört wirklich einer anderen Epoche an. Zerstört werden könnt ihr nur durch den Glauben, dass ihr wirklich seid, was die Weissen einen Nigger nennen. Ich sage dir das, weil ich dich liebe, bitte, vergiss das nie." (Aus "Hundert Jahre Freiheit ohne Gleichberechtigung", RoRoRo 634, 1964)

Mit "Giovanni's Room" (1956) und "Another Country" (1960) publizierte Baldwin zwei Romane, die sofort zu schwulen Kultbüchern avancierten, obwohl sie keineswegs leichte Kost waren, vor allem keine aufbauend-harmonische. Zu jener Zeit der Repression war man schon glücklich, dass es Verleger gab, die Werke mit schwuler Thematik auch in deutscher Übersetzung herausgaben. Natürlich war der selbstzerfleischende Hass gegen sich selber auf fast jeder Seite dieser Romane gegenwärtig. Aber er wurde klar geschildert als Ergebnis der nur durch die (weisse) Mehrheit eingeführten und stets erneuerten Ächtung, die alle Neger samt ihrer Lebensart betraf - und alle Schwulen. James Baldwin hatte diesen Mechanismus verstanden, und er machte die Betroffenen verstehend. Das war eine ganz neue Botschaft.

Der Kreis brachte im englischen Teil schon sehr früh (1957) einen Hinweis auf James Baldwin und veröffentlichte einige Passagen aus "Giovanni's Room" in deutscher Übersetzung - ein Jahr vor der ersten deutschen Ausgabe.

1965, als es im Programm der Zürcher Junifestwochen noch Theater in vier Sprachen gab, gastierte eine schwarze Truppe aus den USA mit Baldwins Stück "The Amen Corner" im Schauspielhaus und hatte damit Grosserfolg. Aus dem bereits zitierten Aufsatz von Heinz Liepman:

"Ich hätte nie gedacht - und besonders Baldwin selbst hatte es sich nicht vorgestellt -, dass er in Europa und selbst in der konservativen Schweiz derart bekannt, ja populär sei. Die Negertruppe, die bei den Zürcher Festwochen sein Stück 'The Amen Corner' aufführte, spielte an allen drei Abenden vor ausverkauftem Haus. [...] Das mag noch auf das Konto der herrlichen Schauspieler des Ensembles gehen. Aber der Vortrag, den Baldwin am Sonntag [vor den Aufführungen] im Schauspielhaus hielt, war - was es noch nie gegeben hatte - ebenfalls ausverkauft. Und auf dem kurzen Weg vom Theater bis zu meiner Wohnung, durch die Kneipenbezirke der Altstadt, wurde er dreimal von jungen Leuten erkannt, angesprochen, um ein Autogramm gebeten und schliesslich auf der Strasse applaudiert. 'The Amen Corner [das sind im Stück jene Bänke, wo in dieser Schwarzen-Kirche die leitenden Personen und die ganz Frommen sitzen] wurde vor über zehn Jahren geschrieben', sagte ich. 'Warum wird das Stück erst jetzt aufgeführt?' 'Vor zehn Jahren war ich ein Neger-Schriftsteller. Heute gelte ich als amerikanischer Schriftsteller. Das ist natürlich ein Unterschied.'"

Das Verhältnis Baldwins zur Kirche und zum von ihr gepredigten Christentum der weissen und heterosexuellen Mehrheit kleidete er 1968 als Gastredner bei der Tagung des Weltrats der Kirchen im schwedischen Uppsala in eindrückliche Worte. Sie sind in der Zeitschrift club68 9/1968, S. 13 wiedergegeben und mit einem Vorwort eingeführt worden, dessen Schlusssatz lautet: "Seine Kritik an der Haltung der christlichen Kirchen gilt zu einem grossen Teil ebenso sehr auch für die geächtete und in einigen sogenannt zivilisierten Staaten verfolgte Minderheit der Homophilen". Aus dieser Rede:

"Ich spreche zu Ihnen, als eines der Geschöpfe Gottes, die von der christlichen Kirche am meisten betrogen worden sind. Ich selbst habe mich zum Beispiel, weil ich in eine christliche Kultur hineingeboren wurde, niemals als ein völlig freies menschliches Wesen betrachten können. Christen haben mir vorgeschrieben, was ich tun dürfte, was ich werden konnte und was mein Leben wert sei. Das bedeutet natürlich, dass der eigene Begriff von menschlicher Freiheit gelähmt oder in den Wurzeln erstickt wurde. [...] Wenn es wahr ist, dass ich in der christlichen Welt nicht als ein lebendiger, von Gott geliebter Mensch angesehen werde, [...] kann das wohl bedeuten, dass die Revolution, die vor zweitausend Jahren von einem verrufenen jüdischen Verbrecher (Jesus) begonnen wurde, heute von neuem von Menschen, die gleichermassen verschmäht und gering geachtet werden, begonnen werden muss. [...] Was er hinterliess, war eine Offenbarung und eine Revolution: dass wir alle die Kinder Gottes sind."

In der NZZ vom 3. Dezember 1987 brachte Fritz Gysin einen Nachruf auf den Schriftsteller unter dem Titel "Essayist von Weltrang - zum Tod von James Baldwin". Daraus eine Passage:

"Als zweifaches Opfer der Vergewaltigung durch den weissen Mann, nämlich als Schwarzer und als Homosexueller, nahm sich Baldwin auch das Recht heraus, dem weissen Amerika ein mangelndes Verständnis für die Bedeutung der reifen Liebe, der Tragödie und des Todes vorzuwerfen. Wohl kein anderer schwarzer Autor hat so überzeugend mit den Schuldgefühlen der weissen Amerikaner gespielt. Er zeigte ihnen, wie sie mit ihrer mangelnden Toleranz sich selber am meisten schadeten, wie der Rassismus eher die weisse als die schwarze Seele verkümmern liess, und bot ihnen gleichzeitig mit seiner schwarzen und oft auch mit der gleichgeschlechtlichen Liebe Möglichkeiten an, ihr selbstverschuldetes geistiges Elend zu überwinden. [...] Als Romanautor wird Baldwin heute noch an den amerikanischen Schulen gelesen - als Essayist hat er Weltrang."

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Alfred Bob Steffen: Charmanter Weltenbummler

jb. Er war Aktmodell und charmanter Weltenbummler, Schöpfer innovativer Inszenierungen von Textilien, Geschäftsmann und Partylöwe: Dem Berner Alfred Steffen ist eine Ausstellung gewidmet, die nächstes Jahr in Bern gezeigt werden soll und für die noch Sponsoren gesucht werden. Der unverstellte Umgang mit seiner homosexuellen Veranlagung war zu seiner Zeit keine Selbstverständlichkeit. Bob le Flaneur, wie er auch genannt wurde, ist ein weiteres Beispiel für die Vielfalt schwuler Lebensstile.

Porträt Alfred Bob Steffen