1924-1987

James Baldwin

Wie Baldwin überlebt hat, so klein, so scheu und zerbrechlich wie er war, es ist kaum zu glauben. Aber nach den ersten Worten, er stamme aus doppelter Minderheit - schwarz und homosexuell - und sei doppelt diskriminiert worden, auch von Schwarzen, da wurde er zum Gummiball, der Feuer sprühte. Man lauschte fasziniert. Ich schliesse die Augen. Ich sehe und höre ihn noch immer. Das war in London, privater Kreis, Ende der 60er Jahre.

Zuvor aber, am 22. Juni 1965, erlebten wir ihn (Ernst Ostertag und Röbi Rapp) im Schauspielhaus Zürich, als er nach der Premiere seines Stückes "The Amen Corner" auf die Bühne trat und mit tosendem Applaus gefeiert wurde1.

Der 1956 erschienene Roman "Giovanni's Room" stieg zum Kultbuch auf. Bereits im Januar 1957 stellte ihn Dick Tyner im Kreis unter "Book Reviews" vor2 und sofort lag er an Mittwochabenden auf dem Büchertisch und konnte von Abonnenten und Gästen erworben werden.

Im März 1962 veröffentlichte der Kreis einige Passagen unter dem Titel "Stationen" und kam damit der ersten deutschen Ausgabe von "Giovannis Zimmer" um ein gutes Jahr zuvor3. "Für den Kreis übersetzt von Carl Knorr, Nachdruck verboten" hiess es am Schluss. Hinter diesem Carl Knorr verbarg sich einmal mehr Rudolf Jung / Rudolf Burkhardt. Kaum stand die deutsche Version4 zum Kauf bereit, las sie jeder. Spätere Bände waren ebenso begehrt: "Eine andere Welt", 1965, und "Gesammelte Erzählungen", 1968.

James Baldwin wurde in den 50er und 60er Jahren zur literarischen Leitfigur der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Zugleich gab er den Anstoss zu militanteren Formen gesellschaftlicher und politischer Emanzipation - auch für die homosexuellen Aktivisten. Denn jene seiner Werke, die homoerotisches Leben zum Thema hatten, wie "Giovannis Zimmer" und "Eine andere Welt" (im Originaltitel von 1960 besser "Another Country") waren wegweisend, weil sie Homosexualität selbstbewusst, unbefangen und tabufrei als Selbstverständlichkeit schildern, genauso unterschiedslos wie Schwarz oder Weiss.

Damit wurde James Baldwin zu einem literarischen Wegbereiter der Schwulenemanzipation sowohl in Amerika wie in Europa.

Ernst Ostertag, April 2005

Quellenverweise
1

Heinz Liepman: Tages-Anzeiger, 25. Juni 1965, Seite 19, Besprechung "The Amen Corner", Theaterstück von James Baldwin

2

Der Kreis, Nr. 1/1957, Seite 35

3

Der Kreis, Nr. März 1962, Seite 2 bis 6

4

James Baldwin: Giovannis Zimmer, Rowohlt, 1963