Newsletter 68

August 2015

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema: 

  • Kolumne zum Dichter Ernst Penzoldt

  

Ernst Penzoldt: "Und du lächelst, und du nickst mir zu"

eos. Thomas Mann nannte das literarische Schaffen von Ernst Penzoldt (1892 bis 1955) eine "Sozialkritik des Herzens". Manche seiner Stoffe fanden den Weg ins Kino und ins Fernsehen. Penzolds Schelmenroman "Die Powenzbande" war 1973 in der ARD als fünfteilige Fernsehreihe (mit Gustav Knuth, Ruth-Maria Kubitschek und Martin Semmelrogge) zu sehen. Über den verheirateten Dichter sagte der Schauspieler und KREIS-Mitbegründer Karl Meier / Rolf: "Er steht uns nahe im Geist vieler seiner Werke."

Kaum war ich Abonnent des Kreis, schenkte mir ein junger Kamerad "Die Powenzbande". Das Buch beginnt mit dem Tod der Hauptperson Baltus Powenz:

"Ich war gegen Abend noch ein wenig vor die Stadt hinausgeritten und dabei wie so oft dem wunderlichen alten Mann begegnet, der, laut mit sich selber (oder Gott) redend, mit seinen Händen heftig vor sich her gestikulierte. Er trug noch immer seinen alten, braun und grau karierten Havelock und war wie gewöhnlich berauscht. Er torkelte ein wenig, jedoch mit Würde. Und ich sah eine Flamme mit Donnergetöse aus der Sternennacht herniederfahren auf den ahnungslos barhäuptig wandelnden Greis, und das Feuer verschlang ihn ganz.
Als ich, nachdem ich mein Pferd beruhigt, in ernster Besorgnis näher ritt, zog nur noch der blaue Rauch seiner Asche friedlich durch den Wald davon und rings um den schwarzen Krater, das Gras glühte und glimmte noch lange fort."

Erst als ich tief in der wunderlichen Geschichte des Baltus und der Seinen drin steckte, las ich nochmals den Untertitel:

"Zoologie einer Familie, Ausgabe letzter Hand unter Zugrundelegung der neuesten Forschungsergebnisse und der nachgelassenen Dokumente mit einem Geleitwort des Altbürgermeisters der Stadt Mössel an der Maar, Dr. h.c. Max Dattel, gemeinverständlich dargestellt von Ernst Penzoldt, Kustos".

1930, so lernte ich weiter, ist "Die Powenzbande" im Fischer Verlag erstmals erschienen. Sie hat also gleichzeitig mit mir das Licht der Welt erblickt, sozusagen. In wachsender Anteilnahme und Freude nahm ich wahr, welch süffige Schelmengeschichte aus den Buchzeilen hervorquoll, wie viel wohltuende Ironie, welch prächtiger Humor darin leuchtete und mit was für einer zauberhaften Sprache alles geschildert wurde. Klar, der Dichter Penzoldt hat der Literatur ein Werk geschenkt, das an Felix Timmermans "Pallieter", an den "Simplicissimus" von Grimmelshausen, an die Geschichten aus Johann Peter Hebels "Schatzkästlein" erinnert und ihnen ebenbürtig ist.

Und zudem: Fast zur selben Zeit bat mich Karl Meier / Rolf ins KREIS-Büro und zeigte mir Gedichte von Ernst Penzoldt und dessen Novelle "Winckelmann", die er mit Einverständnis des Autors im Kreis veröffentlicht habe. Es gab einen Briefwechsel mit Penzoldt. "Er steht uns nahe im Geist vieler seiner Werke", meinte Karl Meier, doch konkreter wurde er nicht. Erst später erfuhr ich, dass der Dichter verheiratet und einer von "uns" war.

Im Osterheft 4/1952 erschien das Gedicht "Der Meister", das Ernst Penzoldt zur Holzskulptur aus Sigmaringen "Christus-Johannes" verfasst hatte (im Heft auf der nebenstehenden Seite wiedergegeben). Die im frühen 14. Jahrhundert gefertigte Darstellung zeigt den bartlosen jungen Johannes neben einem sitzenden ernsten Christus, den Kopf an die Brust seines Meister-Freundes gelehnt. Und die fünfte, letzte Strophe lautet:

"Ist es die Weisheit, ist's die Kraft des Mannes,
Was zieht Dich hin mit gläubigem Verlangen?
Es ist das Göttliche in Dir, Johannes,
Das Dich verlockt, ihm ewig anzuhangen.
An ihn gelehnt, den Unermesslichen,
Ein holder Schläfer unter seinem Zelt,
Bist Du dem Ernsten, Bärtighässlichen
Zutraulich wie ein Lächeln beigesellt."

Dazu schrieb Karl Meier im Heft 3/1964:

"Der allzu früh verstorbene deutsche Dichter hat uns noch zu seinen Lebzeiten den Nachdruck, auch den seines sprachlich wie inhaltlich grossartigen Gedichtes 'Der Meister' erlaubt."

Dieses März-Heft war dem 400. Todestag von Michelangelo Buonarotti (18. Februar 1564) gewidmet und brachte Ernst Penzoldts berührende Novelle "Tommaso Cavalieri" über den Altersgeliebten des Meisters, in dessen Armen er gestorben ist. Darin hineingebettet hat Penzoldt drei von Michelangelos Sonetten in eigener Übertragung. Im Nachwort zur Novelle schrieb Karl Meier:

"Man stand (...) der edlen Strenge dieser Verse [der Michelangelo-Sonette] lange verständnislos gegenüber, besonders, weil man sie alle an eine Frau gerichtet wähnte. Erst als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts [19. Jahrhundert] eine genaue Schriftanalyse ergab, dass bei einer gewichtigen Anzahl die Anrede SIGNOR durch ein angehängtes A verfälscht worden ist, machte man die erstaunliche Entdeckung, dass einige der schönsten Sonette an einen jungen Mann gerichtet waren."

Penzoldts Novelle schildert zudem, wie der schöne Edelmann Tommaso Cavalieri nachts zum Meister aufs Gerüst in der Sixtina klettert, wo dieser am Jüngsten Gericht arbeitet, und wie er dort den eben vollendeten Heiligen Sebastian entdeckt und erblasst, als er sein eigenes Gesicht erblickt. Natürlich gibt es im selben Kreis-Heft als Illustration diesen Ausschnitt mit Sebastian, der Pfeile in seiner ausgestreckten linken Hand hält und die rechte so angehoben hat, als zöge sie an einem unsichtbaren Bogen, am Bogen des Gottes Amor, wie es die Novelle deutet, zielbereit auf des Meisters Herz.

In seiner "Erinnerung an den Dichter Ernst Penzoldt" im Heft 1/1965 schrieb Karl Meier:

"Der Homoerot wird vor allem Penzoldts Künstlerroman 'Idolino', seine Novelle 'Winckelmann' und seine grossartige Gestaltung der Freundesliebe Michelangelos zu dem italienischen Granden 'Tommaso Cavalieri' zum Bleibenden in 'unserer' Literatur zählen. (...) Wer diesen subtilen Dichter einmal lieb gewonnen hat, wird ihn zum unverlierbaren Besitz rechnen. Sein erster Gedichtband 'Der Gefährte', erschienen im Verlag Heimeran, ist längst vergriffen."

Dann lässt Karl Meier die Kreis-Leser wissen, dass in der Zeitschrift etliche dieser frühen Gedichte da und dort verstreut erschienen seien.

Ernst Penzoldt war der jüngste von vier Söhnen des Medizin-Professors Franz Penzoldt und der einzige, der nicht Arzt, sondern Künstler, Bildhauer, wurde. Die Familie wohnte in der nördlich von Nürnberg gelegenen Stadt Erlangen. Mit 20 lernte Ernst an der Kunsthochschule von Weimar seinen ersten Freund, Günther Stolle, kennen. Zusammen wechselten sie an die Kasseler Kunstakademie. Ein Jahr später brach der Erste Weltkrieg aus, und sie meldeten sich, wie so viele ihrer Kommilitonen, freiwillig und zogen als Sanitäter an die Front. 1915 begann Ernst Penzoldt zu schreiben. 1917 fiel Günther Stolle. Mit Kriegsende (1918) kehrte Penzoldt verstört zurück:

"Vom Gott des Krieges angebrüllt stand ich lange verdutzt. Ich fand zuerst die Sprache wieder, die Hände waren noch ohnmächtig."

Später sagte er, "Kriegsbeschädigung" sei die Ursache seines Schreibens. 1919, als 27jähriger, zog er nach München, wo er bis zu seinem Tode blieb. In München fand er einen neuen Gefährten, Ernst Heimeran. Drei Jahre später gründete Heimeran den gleichnamigen Verlag und liess die Schriften seines Freundes veröffentlichen, vorab den Gedichtband "Der Gefährte", dann auch Prosa-Texte. Im selben Jahr 1922 heiratete Ernst Penzoldt die Schwester seines Freundes, um, wie er sagte, der Homosexualität eine bürgerliche Konvention entgegen zu setzen. Das Paar hatte einen Sohn und eine Tochter. Als die neuen Texte den Dichter zur bekannten Persönlichkeit machten, fanden sich auch renommierte Verlage wie Reclam, Insel, S. Fischer und Suhrkamp. Nebst Novellen und weiteren Gedichten erschienen Theaterstücke und das erfolgreichste Werk, "Die Powenzbande" (1930). Obwohl man von seiner Ablehnung des Nationalsozialismus wusste, blieben Penzoldts Schriften unangetastet. Hingegen wurden ein paar der frühen Bilder und Skulpturen als "entartete Kunst" aus öffentlichen Räumen entfernt. Ab 1938 diente er in der Wehrmacht, wiederum in der Sanität, nun allerdings nicht mehr freiwillig. 1944 entliess man ihn wegen eines Magenleidens. 1950 wurde seine Novelle "Korporal Mombour" unter dem Titel "Es kommt ein Tag" verfilmt. In den Hauptrollen spielten Maria Schell und Dieter Borsche. Ein Jahr vor seinem frühen Tod erschien die letzte Erzählung "Squirrel", zu der Thomas Mann sagte, das sei eine "poetischere Konzeption als der ganze 'Krull'". Penzoldt selber meinte, dass das Leben nicht auf soziales Funktionieren reduziert werden dürfe und schuf diese squirrel-artige Figur, die frei und schön und unfassbar wie ein Eichhörnchen ist, denn sie - wie der Dichter - sei "zeitlebens illegal".

Zum Tod Penzoldts setzte Karl Meier dessen Gedicht "Der Engel" ins Heft 3/1955:

"Mit beschneiten Schwingen nahst du dich,
Schrie mein Jammer dich herab zur Erden,
dunkler Engel, was verlockst du mich?
Glaubst du, dass wir drüben froher werden?

Ach, ich habe dich schon lang gesehen,
hinter einem Baum im Garten
regungslos im Finstern stehen
und auf meine Seele warten.

Willst du, dass ich meine Qual verkürze,
schweigsamer Geselle, wartest du,
dass ich mich in deine Arme stürze?
Und du lächelst, und du nickst mir zu."

Mehr dazu unter Ernst Penzoldt