Newsletter 71

November 2015

Diese Ausgabe enthält fol­gen­des Thema: 

  • Kolumne: Ein Aufklärungsbuch mit Folgen

  

DER KREIS UND EIN AUFKLÄRUNGSBUCH ZUM NACHLESEN

eos. Vor 50 Jahren, mitten in einer Zeit grassierender Homophobie mit Polizeirazzien und Medienhetze, veranlasste der KREIS die Herausgabe eines Aufklärungsbuches. Es sollte den damaligen Stand der Forschung wiedergeben und die negativ geprägte "Diskussion" in sachlichere Bahnen lenken. Als Herausgeber der Publikation zeichnete der Neurologe, Psychotherapeut und Eheberater Theodor Bovet. Die Kritik an den Thesen des Buches blieb nicht aus. Doch es hatte ungeahnte Folgen bei Betroffenen und in einer interessierten Öffentlichkeit.

Karl Meier / Rolf, der Leiter des KREIS, war durch und durch von hu­ma­nis­ti­schen Idealen und der Idee all­ge­mein gültiger Men­schen­rech­te geprägt. Wie im Film "Der Kreis" gezeigt, forderte er in der heftigen Dis­kus­si­on unter seinen Mit­ar­bei­tern im Re­dak­ti­ons­bü­ro nicht das De­mons­trie­ren auf der Strasse, sondern In­for­ma­ti­on und Auf­klä­rung: "Schriib i eusem Heft öppis Gschiids!" Nur so sei das Ziel der An­er­ken­nung und Ak­zep­tanz unserer Art der Liebe zu ver­wirk­li­chen. Davon war er zutiefst über­zeugt. In der da­ma­li­gen Zeit, als das Gesetz ab 1942 zwar ho­mo­se­xu­el­le Akte unter Er­wach­se­nen nicht mehr be­straf­te, die Ge­sell­schaft hingegen alles, was mit dem Thema zu­sam­men­hing, total ta­bui­sier­te und ver­dräng­te, konnte kein Ho­mo­se­xu­el­ler offen auf­tre­ten und auf­klä­ren. Es blieben nur fun­dier­te Aussagen aus For­schung und Wis­sen­schaft. Karl Meier knüpfte ein Netz zu Wis­sen­schaf­tern und bot in seiner Zeit­schrift Platz für ent­spre­chen­de Berichte. Die Wirkung war klein, aber sie war da, und zwar kon­ti­nu­ier­lich.

1959 erschien ein Buch mit dem Titel "Sinn­er­füll­tes An­ders­sein". Der Ver­fas­ser war ein über die Schweiz hinaus be­kann­ter Ner­ven­arzt und christ­li­cher Ehe­be­ra­ter, Dr. med. Theodor Bovet (1900-1976). Der Un­ter­ti­tel seines Buches hiess: "Seel­sor­ger­li­che Ge­sprä­che mit Ho­mo­phi­len". Für auf­ge­schlos­se­ne Christen beider Kon­fes­sio­nen, aber auch für Karl Meier und seinen Kreis von Mit­ar­bei­tern war dieses Buch eine Sen­sa­ti­on: Genau darauf hatte man gewartet, aber jede und jeder für sich, ganz im Geheimen. Jetzt konnte man offen darüber sprechen, ohne ver­däch­tig zu werden; zudem gab es eine Bezugs- und An­sprech­per­son. Bovet wurde zur viel ge­frag­ten Per­sön­lich­keit.

Na­tür­lich suchte Karl Meier sofort den Kontakt. In Ge­sprä­chen mit Bovet konnte er den Un­ter­schied erklären zwischen dem ero­ti­schen Hin­ge­zo­gen-Fühlen zu Un­mün­di­gen (wie in den "seel­sor­ger­li­chen Ge­sprä­chen" be­han­delt) und der Liebe zu gleich­ge­schlecht­li­chen Er­wach­se­nen. Das war ein Anfang und Aus­gangs­punkt. Wie frucht­bar die weitere Aus­ein­an­der­set­zung Bovets mit "or­ga­ni­sier­ten Be­trof­fe­nen" wurde, erwies sich in seinem 1962 er­schie­ne­nen Essay "Gedanken zur Ho­mo­phi­lie". Er erschien in der re­nom­mier­ten Zeit­schrift "Re­for­mier­te Schweiz" (7/​1962) und löste ein starkes Echo aus. Karl Meier / Rolf forderte unter dem Titel "Die Kirche dis­ku­tiert" (Der Kreis 8/​1962, Seiten 10 und 11) seine Leser auf, diese Ausgabe der "Re­for­mier­ten Schweiz" sofort zu "erwerben, bevor sie ver­grif­fen ist, nicht nur zum eigenen Studium, sondern auch für unsere Eltern, Ver­wand­ten und Freunde, denn hier bekommen sie den besten Beweis dafür, dass wir nicht aus­ser­halb der Natur, sondern in ihr, wenn auch in einer rät­sel­haf­ten Weise, stehen. Das wird bei ihnen viele Vor­ur­tei­le abbauen und ver­kehr­te An­schau­un­gen ins rechte Licht rücken können." Im selben Artikel hatte er zuvor bereits ge­schrie­ben: "Der mutige Essay [von Theodor Bovet] wird Ge­gen­stim­men rufen, dem Autor viel­leicht sogar Vorwürfe ein­brin­gen; gleich­viel: die Kon­fron­tie­rung mit dem bis­he­ri­gen kirch­li­chen Denken ist gemacht - die kommende Aus­ein­an­der­set­zung kann nur frucht­bar werden: für beide Teile."

Das war in der Vor­be­rei­tungs­pha­se zum Zweiten Va­ti­ka­ni­schen Konzil (11. Oktober 1962 bis 8. Dezember 1965). Im gesamten re­li­giö­sen und kirch­li­chen Umfeld herrsch­te eine Auf­bruchs­stim­mung - und die Pro­tes­tan­ten hofften zudem auf eine aktiv gelebte und von höchster Stelle ge­för­der­te Ökumene. An­de­rer­seits war es auch die Zeit der Re­pres­si­on und der all­ge­mei­nen Ho­mof­eind­lich­keit in unserem Land. Von heute her gesehen ist es er­staun­lich, wie offen lan­des­kirch­li­che Kreise damals dachten und han­del­ten. In Basel etwa setzten sie sich im kon­kre­ten Fall gegen frei­kirch­lich-pu­ri­ta­ni­sche Grup­pie­run­gen und einige städ­ti­sche Pfarr­her­ren durch, die Bovet (seit 1960 Eh­ren­dok­tor der Theo­lo­gie) lauthals als un­trag­bar ver­schrien und seine Ent­las­sung als Redner am Evan­ge­li­schen Kir­chen­tag for­der­ten. Bovet wurde nicht ge­stri­chen und hielt sein viel be­ach­te­tes Referat zu "Ehe und Ehe­lo­sig­keit".

Vor diesem Hin­ter­grund begann Karl Meier zusammen mit dem Leiter der Basler KREIS-Gruppe und ihres Isola-Treff­punkts, Ernest Raetz, die Grund­zü­ge eines Auf­klä­rungs-Projekts zu ent­wer­fen. Sie wollten ein Buch mit Bei­trä­gen von Fach­leu­ten rea­li­sie­ren, das Fragen der Ho­mo­se­xua­li­tät in wis­sen­schaft­li­chem Sinn be­han­delt und weit über den KREIS hinaus wirken sollte. Im Nachlass von Eugen Lau­ba­cher / Charles Welti, dem Redaktor des fran­zö­si­schen Teils der Zeit­schrift Der Kreis, fanden sich Hinweise auf Zu­sam­men­künf­te mit solchen Fach­kräf­ten in Basel. Sie begannen wohl schon Ende 1962 und in­ten­si­vier­ten sich in den fol­gen­den Jahren. Die einzig vor­han­de­ne Kopie einer Art von Pro­to­koll (datiert vom 19. März 1963), die of­fen­sicht­lich als Mit­tei­lung an Lau­ba­cher gelangte, zeugt von mehreren vor­aus­ge­gan­ge­nen Treffen und enthält einen Zeitplan für die zu­künf­ti­gen. Nach diesem "Pro­to­koll" ging es am 19. März um Äus­se­run­gen von Karl Meier und Ernest Raetz zu Fragen der Ho­mo­phi­lie im Kreis der an­we­sen­den Wis­sen­schaf­ter (Juristen, Me­di­zi­ner, Psy­cho­lo­gen und Theo­lo­gen beider Kon­fes­sio­nen), die na­ment­lich auf­ge­führt werden. Zudem wird klar er­sicht­lich, dass die beiden KREIS-Ver­tre­ter auf eine baldige Rea­li­sie­rung des von ihnen ge­wünsch­ten Buches drängten.

Dank der guten Zu­sam­men­ar­beit von Meier und Raetz mit Theodor Bovet übernahm dieser die Führung des Projekts und schliess­lich die Her­aus­ga­be des Sam­mel­ban­des. Der KREIS wollte im Hin­ter­grund bleiben. Die hand­li­che Schrift von 155 Seiten erschien im Frühjahr 1965. Darin kamen vier Me­di­zi­ner, zwei pro­tes­tan­ti­sche Theo­lo­gen und zwei Juristen zu Wort. Der Her­aus­ge­ber Bovet schuf mit einer Ein­füh­rung und einem Schluss­wort den Rahmen des Ganzen. Das Buch ist na­tür­lich längst ver­grif­fen. Deswegen soll hier eine Zu­sam­men­stel­lung von zen­tra­len Aussagen folgen.

Bei der Lektüre fällt auf, dass sämt­li­che Autoren und Au­to­rin­nen zwar for­schungs­be­dingt Kontakte mit Ho­mo­se­xu­el­len geknüpft hatten und in ihren Aus­füh­run­gen viel mensch­li­ches Ver­ständ­nis zeigten, dass sie jedoch den Ho­mo­se­xu­el­len in keiner Weise als gleich­wer­ti­gen Menschen wahr­nah­men, schon gar nicht als ge­setz­lich gleich­be­rech­tig­ten Mit­bür­ger. Offenbar war eine solche Sicht­wei­se damals (noch) nicht vor­stell­bar:

Theologisch wird nicht ver­ur­teilt, aber die Störung der gött­li­chen Schöp­fungs­ord­nung fest­ge­stellt und seel­sor­ger­li­che Be­treu­ung an­ge­bo­ten auf einem Weg, der im Ide­al­fall zur Sub­li­mie­rung der Se­xua­li­tät, also zur per­ma­nen­ten Keusch­heit führt.

Medizinisch bleibt eine Anomalie als Tatsache bestehen. Bes­ten­falls wird das Bild von Krank­heit oder Pa­tho­lo­gie ver­mie­den und der/​die Ho­mo­se­xu­el­le als "un­kor­ri­gier­bar" dar­ge­stellt, so dass eine Therapie nur bei Stö­run­gen der Per­sön­lich­keit an­zu­bie­ten sei.

Juristisch wird fest­ge­stellt, dass eine Be­stra­fung ho­mo­se­xu­el­ler Akte unsinnig sei und eine Ver­schär­fung be­ste­hen­der (schwei­ze­ri­scher) Gesetze nur negative Aus­wir­kun­gen hätte, dass hingegen jede "Lo­cke­rung" ab­zu­leh­nen sei. Mit "Lo­cke­rung" war gemeint: Aufheben des Verbots männ­li­cher Pro­sti­tu­ti­on (das Verbot weib­li­cher Pro­sti­tu­ti­on war 1942 auf­ge­ho­ben worden), gleiches Schutz­al­ter für Männer wie für Frauen (statt 20 bei jedem Sex mit Männern und 16 bei jedem Sex mit Frauen), Aufheben des Verbots aller ho­mo­se­xu­el­len Akte im Mi­li­tär­straf­ge­setz.

Ein Hin­ter­fra­gen der ge­sell­schaft­li­chen Si­tua­ti­on, in der Ho­mo­se­xu­el­le zu leben (und sich zu ver­ste­cken) ge­zwun­gen sind, ist mit einer Ausnahme (Bovet) un­denk­bar. So bleiben die Folgen dieser Si­tua­ti­on un­er­kannt. Sie werden zwar gesehen, aber der Ab­ar­tig­keit des Ho­mo­se­xu­el­len zu­ge­schrie­ben, der deswegen psy­cho­the­ra­peu­ti­sche oder/​und theo­lo­gi­sche Hilfe brauche. Erst die Gay Li­be­ra­ti­on-Bewegung nach Sto­ne­wall 1969 und in den fol­gen­den Jahren hat die perverse Si­tua­ti­on, in der Ho­mo­se­xu­el­le zu leben ge­zwun­gen sind, ins Zentrum gerückt und die ge­sell­schaft­li­che Be­frei­ung an­ge­stos­sen.

Hier nun einige Aus­schnit­te aus dem trotz allem sehr be­mer­kens­wer­ten Buch, das im deutsch­spra­chi­gen Raum Etliches an Vor­ar­beit zum Umdenken leistete und so­zu­sa­gen den Vorhang zur Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schich­te ein wenig in die Höhe hob:

Einführung (Theodor Bovet):

Die Probleme der Ho­mo­phi­lie gehen uns alle an, ob wir es wissen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht, ob wir darüber reden oder ob wir darüber schwei­gen. Denn die Ho­mo­se­xu­el­len sind keine indische Sekte [...], sie bewohnen nicht als Kranke oder als Ver­bre­cher eine äussere Randzone unserer Ge­sell­schaft; [...] sie bilden nach vor­sich­ti­gen Schät­zun­gen 3-4% unserer normalen Be­völ­ke­rung. Das bedeutet prak­tisch, dass in einer Ver­samm­lung von 80-100 Personen wahr­schein­lich drei oder vier Ho­mo­phi­le sitzen, die sich in keiner sicht­ba­ren Weise von den übrigen un­ter­schei­den und sich im Leben genauso gut bewähren wie sie. (Seiten 10 und 11)

Die so­zio­lo­gi­schen Ver­hält­nis­se, in denen Ho­mo­phi­le meist leben müssen, lösen bei manchen von ihnen se­kun­dä­re neu­ro­ti­sche Re­ak­tio­nen aus, wie es bei vielen Min­der­hei­ten der Fall ist. (Seite 10)

Exegese zweier neutestamentlicher Stellen (Dr. theol. Else Kähler, Boldern ob Män­ne­dorf; sie bezieht sich auf die be­kann­ten Verse von Paulus im Römer- und ersten Ko­rin­ther­brief (Röm 1, 18-32; Kor 6, 9-11):

Die Bibel of­fen­bart uns be­kannt­lich nicht psy­cho­lo­gi­sches oder bio­lo­gi­sches Wissen. Gerade durch die Freiheit, die Christus gebracht hat, ist die Freiheit der For­schung ge­wach­sen. Auf Grund von dieser stehen wir nicht mehr dort, wo Paulus und das ganze Neue Tes­ta­ment stehen. (Seite 31)

Für den Theo­lo­gen und Seel­sor­ger wird es das Ziel sein, den Be­trof­fe­nen - wenn es seine Mög­lich­kei­ten erlauben - zum Verzicht auf den Gebrauch seiner "Anlage" zu ver­an­las­sen: um des Reiches willen, um der Freiheit für den Herrn willen. Aber nur, wenn er selber dadurch ein Be­frei­ter wird, ist dieser Weg richtig. (Seite 36)

Homosexualität in medizinisch-psychologischer Sicht (Prof. Dr. med. Gaetano Be­nedet­ti und Dr. med. Verena Wenger, Basel)

G.B.: Ho­mo­se­xua­li­tät ist nicht eine "Krank­heit". [...] Sie kann besser de­fi­niert werden als eine sowohl bio­lo­gisch (kon­sti­tu­tio­nell) wie auch bio­gra­phisch (le­bens­ge­schicht­lich) be­grün­de­te sexuelle Ver­hal­tens- und Erlebensabnormität. (Seite 44)

V.W.: Aber selbst wo kein ur­sprüng­li­cher Mangel an Selbst­wert­ge­fühl vorliegt, bedarf es eines un­ge­wöhn­li­chen Masses an Reife und innerer Un­ab­hän­gig­keit und Selb­stän­dig­keit, um in unserer he­te­ro­se­xu­ell ori­en­tier­ten und vielfach lieblos und ober­fläch­lich vor-ur­tei­len­den Ge­sell­schaft ruhig zu einem anderen Le­bens­stil zu stehen: Wer das zustande bringt, ist er­wach­se­ner als mancher so­ge­nannt Normale, er hat gleich­sam sein Gewissen nicht mehr "draussen" bei den Mit­men­schen und ihrem sozialen Urteil un­ter­ge­bracht, sondern es end­gül­tig "her­ein­ge­nom­men" in den Bereich seiner al­ler­per­sön­lichs­ten Ver­ant­wor­tung. (Seite 75)

Die Frage der Erblichkeit der Homophilie (Prof. Dr. med. Otmar von Ver­schu­er, Münster i.W.):

Man un­ter­schei­det heute eine echte Ho­mo­phi­lie als Störung der psy­cho­se­xu­el­len Ent­wick­lung von einer unechten oder Pseu­do­ho­mo­phi­lie; diese letztere beruht auf einer Störung der see­li­schen Ein­stel­lung und des daraus fol­gen­den Ver­hal­tens im Leben. [...] Das Ge­schlechts­le­ben des Menschen bleibt ein Ge­heim­nis, in das der einzelne Mensch nur selten einem anderen Menschen Einblick gewährt. So bleibt jede Erhebung über pa­tho­lo­gisch-se­xu­al­psy­cho­lo­gi­sche Er­schei­nun­gen un­voll­kom­men. [...] Konkret ge­spro­chen: Ist ein Mensch durch seine erbliche Ver­an­la­gung zur Ho­mo­phi­lie dis­po­niert, so ist dies nicht ein Schick­sal, dem er un­aus­weich­lich un­ter­wor­fen ist; sondern es ist ihm eine sicher oft schwer zu tragende Aufgabe gestellt. Insofern ist er wirklich der "ho­mo­se­xu­el­le Nächste", der in seiner ethi­schen Ver­ant­wor­tung der "hel­fen­den Hände" bedarf. (Seiten 83 und 86)

Über die weibliche Homosexualität (Dr. med. Elsa Kockel, Zürich):

Es ist na­tür­lich, dass der sexuelle Trieb mehr in die Per­sön­lich­keit der Frau ein­ge­baut ist als beim Manne, dient er doch dem Beruf der Frau: Gattin und Mutter zu sein. Daher wohl auch die grössere Fä­hig­keit der Frau zur Sub­li­ma­ti­on. [...] Erst im Her­aus­tre­ten aus dem eigenen Heim, was früher eine beinahe mons­trö­se Sel­ten­heit war, wird die un­ver­hei­ra­te­te Frau kon­fron­tiert mit dem Problem des Al­lein­seins, das gleich­zei­tig aber auch zu innerer Ent­wick­lung zwingt. (Seiten 96 und 97)

Die Homosexualität in strafrechtlicher Sicht (Prof. Dr. iur. Günter Stra­ten­werth, Basel):

Ho­mo­se­xua­li­tät ist eine Er­schei­nung, die - soweit wir wissen - in allen mensch­li­chen Kulturen, un­ab­hän­gig von Zeit und Ort, an­ge­trof­fen wird. [...] Ausser Frage steht [...], dass sich die Ursachen der Ho­mo­se­xua­li­tät be­wuss­ter mensch­li­cher Ein­wir­kung weit­ge­hend ent­zie­hen und sich die Fi­xie­rung eines ho­mo­se­xu­el­len Triebes nur in sehr seltenen Fällen rück­gän­gig machen lässt. [...] Möglich bleibt allein der Versuch, einer Aus­brei­tung der Ho­mo­se­xua­li­tät über das offenbar un­ver­meid­li­che Mass ent­ge­gen­zu­wir­ken. (Seite 112)

Für das Straf­recht bildet die Ho­mo­se­xua­li­tät ein Sach­pro­blem wie andere auch, gewiss ein mensch­lich be­we­gen­des und äusserst schwie­ri­ges, aber keines, von dessen Lösung - wie immer sie aus­fal­len mag - der Fort­be­stand des Abend­lan­des abhängt. Die nüch­ter­ne Prüfung der Ar­gu­men­te [...], die un­be­fan­ge­ne Er­for­schung und An­er­ken­nung der fak­ti­schen Zu­sam­men­hän­ge und die ge­wis­sen­haf­te Abwägung des Für und Wider - das ist hier wie überall der einzige Weg zu einer ver­ant­wort­li­chen Stel­lung­nah­me, die als menschliche Ent­schei­dung stets mit dem Risiko belastet bleibt, falsch zu sein. (Seite 129)

Das Problem der Homophilie aus sittenpolizeilicher Warte (Dr. iur. Hans Witschi, Kri­mi­nal­kom­mis­sar der Stadt­po­li­zei Zürich):

Be­güns­tigt wird die männ­li­che Pro­sti­tu­ti­on leider durch die starke Ver­pö­nung des mann­männ­li­chen Verkehrs in der Ge­sell­schaft. Folge davon ist, dass der Ho­mo­phi­le sich scheut, mit einem Partner zusammen zu wohnen und sich ständig mit ihm in der Öffent­lich­keit zu zeigen, weil er be­fürch­tet, der ero­ti­sche Cha­rak­ter seiner Be­zie­hung könnte entdeckt werden. In der Mehrzahl der Fälle hätte eine solche Ent­de­ckung für ihn be­ruf­lich und ge­sell­schaft­lich ka­ta­stro­pha­le Folgen. Den Beamten der Sit­ten­po­li­zei sind zahl­rei­che der­ar­ti­ge Tra­gö­di­en bekannt. Es ist aus diesen Gründen sehr ver­ständ­lich, wenn der Ho­mo­phi­le in der Regel peinlich darauf bedacht ist, die kör­per­li­che Seite seines Triebes mög­lichst geheim und un­er­kannt zu be­frie­di­gen. Dazu bietet ihm die männ­li­che Pro­sti­tu­ti­on sicher die beste Ge­le­gen­heit. [...] Im Ge­gen­satz zu den echten Ho­mo­se­xu­el­len sind die männ­li­chen Pro­sti­tu­ier­ten in kri­mi­nel­ler Hinsicht ganz be­son­ders anfällig. (Seiten 136 und 138)

Meines Er­ach­tens können Ver­ei­ni­gun­gen dieser Art [gemeint ist der KREIS] für die übrige Ge­sell­schaft kei­nes­wegs Schaden bringen: sie er­mög­li­chen es nämlich den Ho­mo­phi­len, sich auf eine Weise kennen zu lernen, die sich nicht in der Öffent­lich­keit [...] abspielt; sie dienen auch dem Zweck, den Gleich­ge­kehr­ten aus seiner see­li­schen Ver­ein­sa­mung und seinen recht häufig vor­han­de­nen Min­der­wer­tig­keits­ge­füh­len her­aus­zu­reis­sen, in denen ja gerne das Motiv zum Selbst­mord liegt. (Seite 140)

Es sollte schon aus mi­li­tär­po­li­ti­schen Über­le­gun­gen das Schutz­al­ter von 20 Jahren nicht her­ab­ge­setzt werden. [...] Nichts wäre ein­zu­wen­den, wenn ver­schie­de­ne Straf­ge­rich­te unseres Landes den ver­wahr­los­ten und kri­mi­nell ge­fähr­li­chen Strich­jun­gen ge­gen­über etwas dra­ko­ni­sche­re Strafen ver­häng­ten. (Seiten 143 und 144)

Versuch einiger Schlussfolgerungen (D. Dr. med. Theodor Bovet, Basel):

Es scheint so zu sein, dass "na­tür­li­che" latente Ho­mo­phi­lie unter sehr ver­schie­de­nen Ein­flüs­sen manifest in Er­schei­nung treten kann [...], schliess­lich auch infolge einer an­ge­bo­re­nen Ei­gen­heit. [...] Diese Form ist viel­leicht die häu­figs­te, un­be­strit­ten ist das aber nicht [...]. Wo die Ho­mo­phi­lie in dieser Weise manifest wird, kann man wohl von einer Fehl­steue­rung oder einer Anomalie reden; indessen ist die ho­mo­phi­le Trie­bin­ver­si­on nicht mehr so völlig un­ver­ständ­lich und na­tur­wid­rig, wie es an­fäng­lich aussah [...]. Das erklärt wohl auch, weshalb die echten Ho­mo­phi­len das Gefühl haben, ihre Art sei "auch na­tür­lich". (Seiten 148 und 149)

Einem kon­sti­tu­tio­nel­len Ho­mo­phi­len die Heirat als Heil­mit­tel zu emp­feh­len, ist geradezu ein Ver­bre­chen. (Seite 150)

Wie steht es in den Fällen, wo eine echte per­so­na­le Liebe besteht, wo zwei er­wach­se­ne Ho­mo­phi­le den Ent­schluss fassen, ihr ganzes Leben in ver­ant­wort­li­cher Weise für einander da zu sein und einander zu gehören? Zwischen Mann und Frau entsteht daraus eine Ehe; zwischen Ho­mo­phi­len besteht diese Mög­lich­keit nicht. Haben sie aber nicht dennoch aus der In­sti­tu­ti­on Ehe we­nigs­tens das ver­wirk­licht, was sie konnten, nämlich die ver­ant­wort­li­che und le­bens­läng­li­che Part­ner­schaft? (Seite 151)

Mir scheint, wir hätten bis jetzt den Ho­mo­phi­len ge­gen­über eine Art "ethi­schen Ko­lo­nia­lis­mus" be­trie­ben, indem wir ihnen unsere Le­bens­wei­se auf­drän­gen und sie von unserer Art aus ver­ur­tei­len wollten. (Seite 152)

Theodor Bovet (Hrsg.): Probleme der Homophilie in medizinischer, theologischer und juristischer Sicht. Verlag Paul Haupt, Bern 1965.

Wer mehr zu Theodor Bovet und zur Zu­sam­men­ar­beit der Leiter des KREIS mit ihm erfahren möchte, findet die In­for­ma­tio­nen bei Theodor Bovet