Newsletter 95

Dezember 2017

Dieser Newsletter enthält folgende Themen:

  • Vor 30 Jahren: Erste internationale Gay- und Lesben-Konferenz in der Schweiz
  • August Kruhm: "Musik ist kein Strohhalm, der zerbricht"

   

Vor 30 Jahren: Erste internationale Gay- und Lesben-Konferenz in der Schweiz

eos. Als Marcel Ulmann dafür sorgte, dass Zürich im Dezember 1987 zum Tagungsort der ILGA (International Lesbian and Gay Association) wurde, war das gesellschaftliche Umfeld angespannt: Die "Schwulenseuche" Aids hatte in verschiedenen Ländern zu Hysterie und verstärkter Ausgrenzung von Homosexuellen geführt. Ulmann war damals Präsident der Schweizerischen Organisation der Homophilen (SOH) und hatte immer das Ziel, nicht nur starke, gemeinsam operierende Schwulenbewegungen zu formen, sondern sie mit ihren Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Bis 1976 lebte er in Dänemark und lernte als Aktivist, wie sich Schwule organisieren und öffentlich werden, weil nur so Veränderungen in der Gesellschaft anzustossen sind.

Insgesamt war Marcel Ulmann (1936-2016) dreizehn Jahre lang im Vorstand der Schweizerischen Organisation der Homophilen (SOH), neun Jahre davon amtete er als Präsident (bis 1989). Die Erfahrungen aus seiner Zeit in Dänemark brachte er in die Schweiz und damit wollte er in seiner Heimat den Gesinnungswandel realisieren. Er vertiefte die Zusammenarbeit unter den bestehenden Gruppierungen, sodass Schritte in die Allgemeinheit und in die Politik möglich wurden. Einer dieser Schritte war die Wahl von Zürich als Tagungsort der ILGA (International Lesbian and Gay Association) im Dezember 1987.

Doch vor diesem Schritt gab es einige gewaltige Ereignisse. Dies im Zusammenhang mit der neuen "Schwulenseuche" Aids, die ab 1983 ihre ersten Opfer in der Schweiz forderte. Von Berichten aus den USA wusste man um die Gefahr für die Emanzipationsbewegung, sobald die von der Krankheit Betroffenen als Aussätzige behandelt und alle Schwulen als potentielle Virusträger gesehen und ausgegrenzt würden. Es gelang in der Schweiz vorbildlich, durch Zusammenarbeit von Schwulenorganisationen mit den Gesundheitsbehörden jede Hysterie zu vermeiden. Es gab landesweit Aufklärung, Prävention, Solidarität und den Bruch des Tabu rund um das Thema Sexualität. Die bis 1996 tödlich verlaufende Krankheit Aids hatte auch eine andere Seite: Homosexuelle Frauen und Männer mit ihren aktiven Gruppierungen wurden sichtbar. Man nahm sie nun positiv wahr, als Mitbürger, die Verantwortung auf sich nahmen und deshalb auch ihre Rechte haben sollten.

Marcel Ulmann und das Führungsteam der SOH sahen die Zeit gekommen, um das grosse Erbe der verschwundenen internationalen Organisation DER KREIS, deren unmittelbare Nachfolgerin die SOH war, wieder aufleben zu lassen. Sie festigten die Bande, die sie bereits 1979 mit dem Beitritt zur ILGA geknüpft hatten, und schlugen 1986 an der internationalen Konferenz in Brüssel den versammelten Delegierten vor, die nächste Europäische Konferenz in Zürich abzuhalten. Diese Einladung wurde angenommen und das Datum vom 28. bis 30. Dezember 1987 festgelegt. Im Juli 1987 traten die Vertreter diverser Zürcher Gruppierungen zusammen und begannen mit den Vorbereitungen. Schliesslich trugen nicht nur die Schwulen und Lesben, sondern auch die geladenen Medien zum Erfolg der Konferenz und zum grossen Echo bei, das weit herum im ganzen Land und über seine Grenzen hinaus vernommen wurde.

Mehr dazu: ILGA-Konferenz

    

August Kruhm: "Musik ist kein Strohhalm, der zerbricht"

jb. Unter den zahlreichen ehemaligen Kreis-Mitarbeitern tauchen immer wieder neue Namen auf. Teilweise schrieben sie unter Pseudonymen, die erst in jüngster Zeit enttarnt wurden. Einer, der seinen Namen nicht versteckte, war der deutsche Journalist August Kruhm. Im Kreis gehörte er sogar zu den beständigsten Mitarbeitern. Er war ein "Büchermensch" und verkroch sich am liebsten in seinen vier Wänden. Dort widmete er sich den "klassischen" homosexuellen Schriftstellern und seinem Lieblingskomponisten Tschaikowsky. Zwischen 1939 und 1945 wurde er zweimal zu Haftstrafen verurteilt. Das Porträt von Raimund Wolfert erinnert an Kruhm und sein Wirken für die Sache der Homosexuellen in einer bewegten Zeit.

August Kruhm