1987

SOH und ILGA-Konferenz

Tagung in Zürich

Wichtigster Anlass 1987 war die Europa-Konferenz der International Lesbian and Gay Association ILGA (ILGA European Meeting) vom 28. bis 30. Dezember in Zürich. Diese Konferenz hier bei uns zu haben war das besondere Anliegen von Marcel Ulmann, denn er wusste, dass mit einem internationalen Treffen und der damit verbundenen Medienpräsenz deutlich sichtbare Zeichen in weite Kreise der Öffentlichkeit getragen werden. Die umfassende Organisation für einen solchen Anlass sah er darum als eine seiner Hauptaufgaben. Es galt, in dieser von Aids dominierten Zeit andere Seiten schwulen Daseins und andere Anliegen schwuler Mitbürger hervorzuheben und wenn möglich das Bewusstsein einer Bevölkerungsmehrheit darauf hin zu sensibilisieren.

Bereits am 6. Juli hatte Marcel die Vorbereitungsgruppe zusammengestellt, sodass sie ihre Arbeit aufnehmen konnte. Sie bestand aus zwei Mitgliedern der HAZ/HACH (Andreas Bosshard und Hanspeter Wichser), einem des Spot25 (Peter Conrath) und fünf von der SOH (Marcel Ulmann, Carl Diethelm, Markus Gantner, Heinz Schweizer und René Winzeler).

In einem Rundschreiben vom Dezember "Warum wir bei der ILGA mitmachen" fasste Marcel den Zweck der engen Zusammenarbeit mit der ILGA in einige prägnante Sätze:

"Für die SOH ist es wichtig, aus den Erfahrungen der anderen Länder zu lernen, wie Fortschritte auf gesetzgeberischer und gesellschaftlicher Basis erzielt werden können. Holland und die skandinavischen Länder haben schon vor langer Zeit die Gleichberechtigung im Strafgesetz erreicht. In einigen Ländern bestehen Antidiskriminierungs-Gesetze, andere haben gleiche Rechte für Partnerschaften, einschliesslich des Erbschaftsbereichs, erzielt. Der dort geführte Kampf dient uns als Inspirationsquelle und Ermutigung für unsere Bestrebungen in der Schweiz.

Daneben gibt es aber auch gemeinsame Ziele. Dazu gehören die Abschaffung des Krankheitsbegriffs bei der WHO, die Gleichstellung homosexueller Gewissensgefangener bei AI (Amnesty International), das Vermeiden neuer Diskriminierungen im Aids-Bereich und die Verbesserung der Zustände in Ländern, welche noch immer Homosexuelle einsperren und sogar peinigen."

An der Konferenz selbst, die im Volkshaus stattfand, stellte Marcel die SOH den Delegierten und via Presse auch der Öffentlichkeit vor:

"Die SOH ist die älteste derartige Organisation in der Schweiz. Sie stammt in direkter Linie von [...] DER KREIS aus den 30er-Jahren ab [...]. Bis 1983 gab die SOH ihre Zeitschrift hey heraus, welche [...] auch an Kiosken verkauft wurde. [...]

Politische Fragen werden durch den Vorstand bearbeitet. Dazu gehören Stellungnahmen im Zusammenhang mit der Reform der Strafgesetze, welche uns mit Europas höchstem Schutzalter von 20 Jahren noch immer diskriminieren, und die Teilnahme an den jährlichen Schwulen-Demonstrationen. Im Vorstand der Aids-Hilfe Schweiz sind wir seit deren Gründung vertreten. International sind wir seit langer Zeit Mitglied der ILGA [...].

Mit der HAZ teilen wir das Begegnungszentrum am Sihlquai 67. Dort finden sich Bibliothek, Beratungsstelle, Diskussionsgruppen und Sonntags-Brunch. Die grosse gemeinsame Jugendgruppe trifft sich dort und die Radiogruppe mit Sendungen im Radio LORA bereitet sich auf ihre Auftritte vor.

Solange wir als Bürger dieses Landes noch immer gesetzlich und gesellschaftlich diskriminiert werden, braucht es Organisationen wie die unsrige. Mit unserer in der ganzen Schweiz ansässigen Mitgliedschaft werden wir auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen."

In seinem Jahresrückblick (GV 1988) wie auch in einem längeren Bericht im SOH-info vom Februar 1988 (Seiten 4-6) zog Marcel Bilanz:

Höhepunkt der ILGA-Konferenz war unter anderem

"ein Vortrag des Delegierten des Bundesamtes für Gesundheit, Roger Staub, über Entstehung und Entwicklung der Aids-Hilfe Schweiz und die erfolgreiche Hot-Rubber-Präventionskampagne, deren lebhafte Poster die Wände des grossen Saales zierten und anschliessend von den Delegierten nach Hause genommen wurden. [...]"

Zum Programm gehörten auch

"Empfänge im Begegnungszentrum, ein festlicher Silvesterabend mit vorgängiger Pressekonferenz und eine Abschlussdemo vor dem Britischen Konsulat, wo eine Protestkundgebung gegen ein neues Gesetz [...] stattfand."

Dieses neue Gesetz betraf die von Prime-Ministerin Margaret Thatcher initiierte "Clause 28" oder "Section 28", die das Propagieren von Homosexualität in der Öffentlichkeit verbot - also auch die Aufklärung an Schulen - und dann am 24. Mai 1988 in Kraft gesetzt wurde; aufgehoben am 18. November 2003 unter der Labourregierung von Tony Blair.

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Ernst Ostertag, April 2007