Newsletter 97
Februar 2018
Diese Ausgabe enthält folgende Themen:
- Il maestro Adriano
- Ganymed lässt grüssen
- Leerstelle Fussball
Il maestro Adriano
jb. Um die 50 CDs hat er als Dirigent schon eingespielt. Und doch kennen ihn nur wenige. Erstaunlich ist das nicht, denn der Maestro suggeritore wirkte über weite Strecken seines Berufslebens im Verborgenen, nämlich als dirigierender Einflüsterer am Zürcher Opernhaus. Die Komponisten, denen er sich als Dirigent von Orchestern in Russland und in der Slowakei widmete, sind im Musikleben von heute kaum mehr präsent, unter ihnen der bedeutendste Schweizer Sinfoniker des 20. Jahrhunderts, Fritz Brun. Der Name dieses aussergewöhnlichen Dirigenten ist schlicht Adriano. Die Musik hat ihn, als er jung war, wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Doch der Weg zu den Sternen war lang und mühsam. Lesen Sie unser Porträt.
Ganymed lässt grüssen
jb. Zeus in der Gestalt eines Adlers entführt den wohlgeformten Jüngling Ganymed. Der griechische Mythos regte die Fantasie einer ganzen Reihe von Künstlern an, noch mehr aber die Wunschvorstellungen von manchen Liebhabern junger Männerkörper. Dabei stellt sich die Frage, worum es in diesem Mythos wirklich geht beziehungsweise was die Schöpfer und Deuter der Geschichte mit dem Mythos zum Ausdruck bringen wollten. Ist Zeus von der Lust nach einem ausserehelichen Abenteuer getrieben? Zeigt er dem Jüngling auf der Schwelle zum Mannsein den richtigen Weg? Oder ist es gerade umgekehrt: Ist Ganymed jener, der den unerwartet zutraulichen Vogel herausfordert und von ihm Göttlichkeit verlangt? Solchen Gedanken mag der Spaziergänger in Zürich nachhängen, wenn er auf dem Bürkliplatz die Ganymed-Gruppe von Hermann Hubacher betrachtet.
Leerstelle Fussball
jb. Die Geschichte der Homosexuellen in der Schweiz weist manche Leerstelle auf, die es früher oder später zu schliessen gilt. So ist etwa die Darstellung der Homosexualität im Schweizer Film nur ansatzweise aufgearbeitet. Manche Filme, die einen wesentlichen Beitrag zur facettenreichen Regenbogenwelt geleistet haben, schlummern der Wiederentdeckung und der Würdigung in einem historischen Kontext entgegen (so beispielsweise zum Thema Adoption der Fernsehfilm "Moritz", 2003, von Stefan Haupt oder zum Thema Homosexuelle und ihre Eltern "Rosie", 2013, von Marcel Gisler). Eine andere Leerstelle ist jene des Spitzenfussballs, der Kondensation von schwulen Emotionen, wenn 22 junge Männer mit kraftgestählten Schenkeln und (leider) schlabbernden Hosen einem Fussball nachrennen und sich von Zeit zu Zeit leidenschaftlich umarmen. Doch keiner von ihnen darf einen anderen Mann wirklich lieben, da sonst sein Marktwert und angeblich die Kampfmoral im Club sinken. (Ist der Frauenfussball weniger lukrativ, weil ihm das Lesben-Klischee anhängt?) Ein Film, der beide Leerstellen abdeckt, ist "Mario": Ein vielversprechender junger Fussballer verliebt sich, sozusagen contre coeur, in einen mitstürmenden Kollegen, der seinerseits die Gefühle des andern aufgescheucht hat und nun leidenschaftlich erwidert. Die an sich simple Geschichte erfährt nur deshalb emotionale Turbulenzen, weil Männerliebe unter Fussballern noch immer tabu ist. Aus der Leerstelle wird nach und nach eine Lehrstelle, die uns mit der Frage quält, ob es richtig ist, die Karriere dem Liebesglück zu opfern. Aber keine Angst: Der Film ist keine Sekunde "pädagogisch". Vielmehr lässt er die Zuschauer, egal welcher geschlechtlichen Orientierung auch immer, mitleiden und mitfiebern an den grossen Emotionen, die Fussball (auch noch) hervorrufen kann.
Der Film "Mario" (2018) von Marcel Gisler (Ko-Autor: Thomas Hess) mit den einnehmenden Stürmerkollegen Max Hubacher und Aaron Altaras in den Hauptrollen ist ab dem 22. Februar 2018 in den Schweizer Kinos zu sehen.