1952
Ganymed am Zürcher Bürkliplatz
Statue von Hermann Hubacher, Zürich (1885-1976)
Hermann Hubacher (1885-1976) gehört zu den bedeutenden Schweizer Bildhauern und Plastikern des 20. Jahrhunderts. Er ist der Schöpfer der "Ganymed"-Gruppe (1952) auf dem Zürcher Bürkli-Platz. Wie der Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka (1899-1965) in seiner Festschrift "Ganymed"1 festhält, ist die Gruppe ein Geschenk des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin (1864-1945) an die Stadt Zürich.2 Wölfflin erteilte den Auftrag für eine Ganymed-Plastik an Hermann Hubacher, ohne ihm Vorgaben zu machen, wie aus einem Brief Wölfflins an Hubacher vom 30. Januar 1942 hervorgeht:
"Ich komme auf einen alten Gedanken zurück: der Stadt Zürich eine Figur zu stiften [...]. Es müsste eine männliche Figur sein (an weiblichen hat Zürich schon eine Menge) und zwar von strenger Form so, dass das Gesetzmässige des Baus durchschlägt, zuchtvolle Schönheit! Auch die architektonische Fassung müsste sehr bestimmt sein [...]."3
Später kam wohl, sozusagen als Motto, Goethes Gedicht "Ganymed" dazu. Die ersten und die letzten Zeilen des Gedichtes stehen zusammen mit dem Namen "Heinrich Wölfflin" auf der linken Stirnseite des Granitsockels eingemeisselt:
"Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
In euerm Schosse
Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen
Allliebender Vater!"
Zur Enthüllung des Kunstwerks am 20. Juni 1952 schrieb Karl Meier / Rolf im Kreis4:
"Nicht der Adler, nicht Zeus ist es, der von der Erde das Schöne raubt - Ganymed selbst fordert den Unsterblichen auf, ihn in das Reich des Göttlichen zu entführen. Wie herrlich, wie unsagbar schön ist diese Gebärde gelungen, die in die Höhe weist! [...] Wer in den späteren Nachmittagsstunden das Glück hat, die milde Herbstsonne auf der hellen Patina der Bronze sich spiegeln zu sehen, wird nicht müde, diesen Linien nachzugehen, den Standort immer wieder zu wechseln und immer wieder aufs Neue beglückt zu sein, dass aus unserer Gedanken- und Gefühlswelt, wenn auch nur als Ausgangspunkt, ein so überragendes Kunstwerk geschaffen wurde. Wir reihen dieses Bildwerk ein in die unvergänglichen Besitztümer, die etwas von unserer Sehnsucht auszusagen vermögen."
Das Kunstwerk gehört auch Jahrzehnte später noch immer zum "Pflichtprogramm" jedes kulturbeflissenen Zürich-Besuchers, wenn er oder sie ein Auge für die männliche Schönheit hat.
Ernst Ostertag, Mai 2005, Januar 2018
Quellenverweise
- 1
Buchdruckerei Weinfelden, Weinfelden 1952.
- 2
Wölfflin war von 1924 bis 1934 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Zürich, ebenso wie ab 1939 auch Jedlicka.
- 3
Heinrich Wölfflin: Autobiographie, Tagebücher und Briefe, Schwabe Verlag, Basel 1984, 477.
- 4
Der Kreis, Nr. 9/1952, 14.