Newsletter 162

Juni 2023

Diese Ausgabe enthält die folgenden Themen:

  • Pink Cross: Ein gewagtes Projekt

Pink Cross: Ein gewagtes Projekt

eos. Immerhin, das Projekt wird nun dreissig Jahre alt. So liegt es nahe, jenen Mann um einen persönlichen Rückblick zu bitten, der den Anfang und die ersten Jahre prägte. Rolf Trechsel war der erste Schwulensekretär der Schweiz, so nannte sich der Posten des Leiters von Pink Cross damals.

Es ging um viel. Um eine Speerspitze zu der alle sich versammeln konnten im Kampf für unsere politische und gesellschaftliche Emanzipation und Gleichstellung. Mit den bisherigen verschiedenen Organisationen und Gruppierungen auf rein freiwilliger Basis konnte das nicht geleistet werden. Es brauchte eine nationale Dachorganisation. Das war die Ausgangslage nach der mit 73% gewonnenen Abstimmung vom 17. Mai 1992 zur Revision des StGB und des Militärstrafgesetzes. Dieses Gesetz war nur durch enorme Anstrengungen von relativ wenigen Homosexuellen über viele Jahre hinweg so zustande gekommen, dass es uns im strafrechtlichen Bereich gleichstellte.

Neue Ziele standen an und riefen nach einer effizienteren Form der Einsätze. Es entstand Pink Cross. Dazu schreibt Rolf Trechsel:

Im Juni vor genau 30 Jahren wurde in Bern der Verein Pink Cross gegründet. Er war die Frucht einer Sammelbewegung: In der damals noch stark fragmentierten Schwulenszene verstand sich Pink Cross als Dachorganisation, um deren gemeinsame Forderungen durchzusetzen. Es war der richtige Zeitpunkt: Die Aids-Krise hatte zuvor die Differenzen zwischen den linken "Polit-Schwestern" der Homosexuellen Arbeitsgruppen Schweiz HACH, der "bürgerlichen" Schweizerischen Organisation der Homosexuellen SOH und den als unpolitisch gescholtenen "Kommerz-Schwestern" der Gay-Betriebe dahinschmelzen lassen.

Als damaliger Mitinitiant und erstem Geschäftsleiter von Pink Cross fällt mir heute auf, wie klein zu Beginn die finanziellen Möglichkeiten der neuen Organisation waren, angesichts der hohen Erwartungen. Mir ist immer noch das Bild vor Augen, wie ich am ersten Arbeitstag die Geschäftsstelle betrat und dort ein komplett leeres Büro vorfand - nur gerade ein Telefonapparat stand auf dem Teppichboden - immerhin bereits freigeschaltet. Meine erste "Amtshandlung" war die Beschaffung von Tischen, Stühlen und Schränken und zwar aus den alten "Occasion"-Beständen der Bundesverwaltung, denn Geld durfte absolut keines verschwendet werden. Neu war immerhin der Computer, es musste - wegen der damaligen Sympathien der Schwulen zu Apple - ein Mac sein.

Offiziell war ich lediglich zu 40% angestellt - mehr liess das damalige Budget nicht zu. Nebenbei arbeitete ich noch als freier Journalist. Finanziell gesehen waren auch die 40% bereits zu viel, denn mit den damals 300 Mitgliedern waren sie nicht zu finanzieren. Mutig, oder vielleicht gar etwas übermütig gingen wir Initianten davon aus, dass sich mit der Eröffnung der Geschäftsstelle die Mitgliederzahl rasch erhöhen würde.

Tatsächlich gab es natürlich Arbeit weit über das 40%-Pensum hinaus, schon allein mit der administrativen Betreuung der neu lancierten Petition "Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare" und der unabdingbaren Mitgliederwerbung. Und ich habe denn auch viel mehr gearbeitet und tat das gerne. Die journalistische Arbeit schob ich immer mehr beiseite. Endlich lief nach den langen Diskussionen etwas Konkretes, an dem sich Schwule und Lesben aller Couleur beteiligen konnten. Statt der erwarteten 30'000 Unterschriften kamen bei der Petition 80'000 zusammen. Die Geschäftsstelle hatte damit Ihre Nützlichkeit früh unter Beweis gestellt. Das grosse Arbeitsvolumen konnte nur dank dem Vorstand und einem Netz von Freiwilligen bewältigt werden, das sich um die Geschäftsstelle herum gebildet hatte.

Ein "Dauerbrenner" in den ersten Jahren war die Frage der Sprachregionen. Um nationale Bedeutung zu erlangen waren wir sehr erpicht darauf, dass sich Mitglieder und vor allem Mitglieder-Organisationen aus der Westschweiz und dem Tessin uns anschliessen würden. Was das Tessin belangt, trafen zu unserer grossen Verwunderung bereits vor irgendwelchen Kontaktaufnahmen Beitrittserklärungen von zwei Organisationen ein. Doch bald wurde klar, dass sie sich gegenseitig bekämpften und jede hoffte, mit Hilfe von Pink Cross die Vormacht im Südkanton zu gewinnen. Nicht sehr lange später waren sie spurlos verschwunden.
Ganz anders lief es in der Westschweiz, wo es damals fast nur Dialogai gab. Natürlich nahmen wir Kontakt auf. Eine Vorstandsdelegation fuhr zu Gesprächen nach Genf, musste aber ohne konkrete Resultate und ohne viel Hoffnung wieder heimkehren. Die Genfer waren sich Ihrer Bedeutung sehr wohl bewusst und liessen uns lange zappeln. Es hatte sich gerächt, dass die Romandie bei der Entstehung von Pink Cross nur schwach vertreten war. Nun brauchten wir etliche Anläufe mit Kontaktversuchen, bis Dialogai schliesslich Mitglied wurde.

Trotz dieses Handicaps wuchs Pink Cross in den ersten Jahren rasant - jährlich konnte die Zahl der Einzelmitglieder verdoppelt werden. Die gewagte Rechnung der Initianten ging auf. Das grosse, anfänglich so leere Büro füllte sich mit weiteren (Teilzeit)-Mitarbeitenden, das Budget und die Zahl der (Low-Cost)-Projekte wuchs. Aber es gilt auch heute noch, was den Start von Pink Cross prägte: Verglichen mit der Fülle an Aufgaben ist Pink Cross immer noch viel zu klein. Warum von hunderttausenden Schwulen in der Schweiz nur wenige tausend Mitglied geworden sind, ist schwer zu verstehen. Auch heute gilt noch, aus beschränkten Mitteln das Bestmögliche zu machen, mit hohem Einsatz das herauszuholen und zu erreichen, was immer und stets unser Ziel ist: Gleiche Rechte und ein Leben ohne Diskriminierungen. Über die Jahre hinweg - so mein Eindruck – ist es recht gut gelungen. Aber am Ende sind wir noch keineswegs.