Newsletter 166
Oktober 2023
Diese Ausgabe enthält die folgenden Themen:
- Queerness und Religion. Kann denn Liebe Sünde sein?
- Die Autobiografie des ehemaligen Priesters Pierre Stutz erscheint Anfang Oktober
Queerness und Religion. Kann denn Liebe Sünde sein?
eos. Unter diesem Titel findet am 31. Oktober eine weitere Veranstaltung der Verzaubert-Reihe im Zürcher Kaufleutensaal statt. Organisiert und gesponsert, wie immer, von der Zürcher Kantonalbank. Ein Mitarbeiter der reformierten Kirche Zürich, eine christkatholische Pfarrerin, eine Leiterin des Zürcher Instituts für interreligiösen Dialog und ein Mitarbeiter bei der Beratungsagentur Kali für Antidiskriminierungs-Arbeit werden ein Podiumsgespräch führen, moderiert von der Autorin Anna Rosenwasser. Der Titel verspricht viel. Denn eine Mehrheit von queeren Menschen hat sich aus dem Kirchlichen verabschiedet, viele gehen andere, auch spirituelle, Wege und manche sind gänzlich frei und ungebunden. Daneben gibt es solche, die ihr Queersein mit kirchlichem Glaubensleben verbinden und darin ein Zuhause finden. Für alle ist wohl ihre je eigene Form richtig. Und für alle geht es um gegenseitiges Offensein, um die Akzeptanz des Anderen, also um das, was wir Queeren von den Nichtqueeren fordern und nun auch innerhalb unserer Community tun dürfen.
Wenn wir die Geschichte der Ausgrenzung und Ächtung unserer Liebe bis in ihre Wurzeln kennen, vermögen wir Gründe zu sehen für das, was wir an Diskriminierungen erlitten haben und bis heute erleben müssen. Das kann hilfreich sein auf allen Seiten, um offen zu werden und offen aufeinander zuzugehen.
Dieses Suchen und Aufdecken der Anfänge unserer Ächtung hätten eigentlich jene tun sollen, die sich auf die Tradition des Ausschliessens unserer "sündhaften" Liebe berufen. Das haben sie aber nie getan. Also mussten wir es selber in vielen Schritten angehen. Davon erzählt u.a. unsere Schwulengeschichte. Es dauerte aber sehr lange, bis einer zu den eigentlichen Wurzeln in der Kirchengeschichte vordrang, seine Kenntnisse darstellte und damit an die Öffentlichkeit trat. Dieser Mann ist einer, der Philosophie und katholische Theologie studierte, danach als Schwuler andere Wege ging und für eine Zeit unsere schwulengeschichte.ch als Chefredaktor betreute. Sein Anliegen ist es zu zeigen, dass aus der Bibel keine Ächtung für uns Homosexuelle und der Art unseres Liebens hergeleitet werden kann. Die Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen sei erst durch frühe Theologen und Kirchenväter in Gang gesetzt worden. Er dehnte seine Studien auch auf den Koran aus und kam zu denselben Feststellungen. Erst in den späteren Schriften wurde die Verurteilung gleichgeschlechtlicher Akte in den Islam eingefügt.
Paulus: Unterdrückung und Ungleichwertigkeit unchristlich
Dieser Mann, Dr. Josef Burri, erklärt etwa am Beispiel des Apostels Paulus, auf den sich ja häufig jene stützen, die Homosexuelle auch heute noch als Sünder verurteilen, wie Paulus in seinen Briefen die Christen in Rom und Korinth ermahnt, nicht zu tun, was für die anderen Einwohner jener beiden Städte mehr oder weniger selbstverständlich war. Das Leben eines Christen sollte sich davon abheben. Am Ende der Aufzählung dieser verpönten Verhaltensweisen, zu denen auch Sex von Männern mit Männern zählt, setzte der Apostel ganz klar hinzu, Christen dürften aber nie Böses mit Bösem vergelten und vor allem sich nicht selber an Sündern rächen, denn Rache stehe nur Gott allein zu (Röm 12, 17 und 19). Diese Sätze des Paulus haben alle übersehen, die bis heute Gleichgeschlechtliche diskriminieren und gar verfolgten, folterten, töteten. Und sie übersehen, so Burri, dass die entscheidende Frage bei Paulus jene nach der Gerechtigkeit ist. "Der Gerechte wird aus dem Glauben leben." (Röm 1,17) Im Zusammenhang mit den Lasterkatalogen setzt er quasi als Überschrift: "Wisst ihr denn nicht, dass Menschen ohne Gerechtigkeitssinn das Reich Gottes nicht erben werden!" (1 Kor 6,9) Das gilt für Paulus auch in der Liebe und in der Sexualität. Unterdrückung und Ungleichwertigkeit in der Beziehung sind nach Paulus unchristlich.
Das Buch von Josef Burri erschien 2022 im rex Verlag Luzern unter dem Titel "Jakobs Fluch, Die Folgen von Bibel- und Korantexten für Homosexuelle". Auf den Seiten 95 bis 106 zeigt er die Anfänge der Ächtung auf. Sie gehen bis zum christlichen Philosophen Justin (um 100-165) zurück, der den "Päderasten" die "Schuld" für die Christenverfolgungen durch die Römer zuschrieb. Burri weist auch auf den bedeutenden Kirchenvater Augustinus (354-430) hin, der erstmals für die "Männer von Sodom" die Bekehrung mit Zwang und Gewalt forderte und sie zudem als erster "Sünder wider die Natur" nannte. Der Autor gibt Quellen an, die seine Aussagen belegen.
Durch das Werk von Josef Burri konnte in der ersten von neun Epochen unserer schwulengeschichte.ch - sie trägt den Titel "Ächtung" - so manches ergänzt und verdeutlicht werden. Dazu zählen besonders die Zeittafel "Altertum bis 1798" und die Abschnitte "Wie kam es zur Ächtung?" sowie "Ächtung und Gesetzgebung". Ein Verstehen der Ächtung ermöglicht erst das grundlegende Verständnis der Geschichte der Emanzipation homosexueller Menschen von ihren Anfängen beim Schweizer Heinrich Hössli (1784-1864) bis heute. Und nur mit dem Wissen um die christliche Vergangenheit kann von religiöser Seite ein sinnvolles und von Demut geprägtes Gespräch mit den meisten Homosexuellen der Gegenwart geführt werden.
Podiumsdiskussion "Verzaubert" am 31. Oktober im Kaufleuten
Die Veranstaltungsreihe "Verzaubert" ist von der Abteilung Corporate Citizenship der Zürcher Kantonalbank unter dem Motto "Der Livetalk der anderen Sicht auf Kultur, Ereignisse und Biographien" initiiert und von Markus Sulzer organisiert worden. Sie startete am 29. Oktober 2019 mit einem Rückblick auf die Telearena-Sendung vom 12. April 1978 zum Thema Homosexualität und trug den Untertitel "Gescheitertes Experiment oder Meilenstein der LGBT*-Emanzipation?" Es sind seither elf solche Anlässe durchgeführt worden. Die zwölfte zum Thema "Queerness und Religion" wird am Dienstag, 31. Oktober um 20.00 im Kaufleutensaal stattfinden. Die Kernfrage des Podiumsgesprächs dreht sich darum, wie eine Basis für Austausch und Miteinander im Spannungsfeld von Religion(en) und queerem Leben aussehen könnte und was für Voraussetzungen dazu nötig wären. Das kann bei Berücksichtigung der oben erwähnten Hintergründe unserer Emanzipation gelingen. Denn wir alle wollen die fraglose Normalität unserer gleichgeschlechtlichen Liebe. Und fraglose Liebe wäre eigentlich das Hauptthema der Religionen.
Die Autobiografie des ehemaligen Priesters Pierre Stutz erscheint Anfang Oktober
eos. Pierre Stutz ist kein Unbekannter. Eine Biografie zu seinem bewegten Leben findet sich in der Rubrik "Biografien" auf schwulengeschichte.ch. Nun hat er zu seinem 70. Geburtstag den Rückblick auf sein Werden selber aufgezeichnet und seine Freunde, Weggefährten wie auch die grosse Gemeinde seiner Leserschaft damit beschenkt.
Das Buch trägt den Titel "Wie ich der wurde, den ich mag". Das ist bewegendes Suchen und Werden, zu dem er selber sagt: "Jahrelang war mein Leben ein Ringen um Selbstannahme, äusserlich sehr erfolgreich, innerlich zerrissen, gefangen in der Angst vor Ablehnung". Denn er sass ja als Aktiver in der katholischen Kirche, in der er bleiben wollte, mitten im Zentrum und spürte zugleich, dass überall hier seine innerste Natur gänzlich abgelehnt wurde. Fast dreissig Jahre lebte er so, bis es zur dramatischen Krise in ihm selbst kam. Es gelang ihm die grosse Änderung und nun kann er feststellen: "Ich habe die schmerzliche und heilsame Erfahrung gemacht, dass Brüche im Leben zu einem Durchbruch zu mehr Lebendigkeit werden können."
In seinem Buch legt er darüber Rechenschaft ab. Es erscheint bei bene! Verlagsgruppe Droemer Knaur, München, 2023. Die Buchvorstellung mit dem Autor findet am 29. Oktober 2023 um 14.00 im Kirchensaal MaiHof Luzern statt.
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