Newsletter 179

November 2024

Diese Ausgabe enthält die folgenden Themen:

  • Vom Buch "Verborgene Liebe", dessen Vernissage und etwas zum Film "DER KREIS". Teil 2
  • Podium 95 Jahre Ernst Ostertag am Samstag, 18. Januar 2025, in der Helferei in Zürich

Vom Buch "Verborgene Liebe", dessen Vernissage und etwas zum Film "DER KREIS". Teil 2

eos. Im Sommer 2012 hatte Barbara Bosshard das Manuskript zum Buch "Verborgene Liebe - Die Geschichte von Röbi und Ernst" fertig geschrieben. Wir trafen uns zur letzten Bereinigung, dann wurde gedruckt und Anfang November 2012 stieg das Fest der Vernissage im Zürcher Kaufleuten, worauf eine fulminante Tournee den Lebensweg dieses gemeinsamen Kindes eröffnete. Er dauert noch an.

Nach dem Nein aus Deutschland und dem Zusammenbruch der Finanzierung eines grossen schweizerisch-deutschen Spielfilms musste neu gestartet oder das Ganze aufgegeben werden. Die in der Schweiz möglichen Mittel verlangten nach einem schlanken Projekt. Vorerst, Ende 2011, wagten Ivan Madeo und Urs Frey mit ihrer Produktionsfirma Contrast Film zusammen mit Stefan Haupt als Regisseur und Inhaber von Fontana Film den Beginn.

Wie unser Buch fertig wurde…

Wenig später ereignete sich Neues auf der anderen Bühne, jener des Buches von Barbara Bosshard "Verborgene Liebe - Die Geschichte von Röbi und Ernst". Barbara hatte den zweiten Teil fertig geschrieben und begann zu redigieren. Sie machte das zusammen mit der Lektorin des Wörterseh Verlags und, was die Abschnitte zum Buddhismus betraf, auch mit mir. Am Donnerstag, 9. August 2012 überreichte sie uns das Manuskript. Bis Montag sollten wir es lesen und eventuelle Änderungen notieren. Das war wenig Zeit, denn am Samstag, 11. August war Zürcher Street Parade. Sie zog nahe bei uns vorbei. Ein Tag fiel fast gänzlich weg. Wir konzentrierten uns auf inhaltliche Details und kamen gut voran. Am Montagmorgen erschien Barbara mit der Lektorin, damit wir gemeinsam den ganzen Text durchgehen und unsere Bemerkungen oder Änderungsvorschläge anbringen und prüfen könnten. Es dauerte volle zehn Stunden, denn zu gewissen Einzelheiten deckten sich unsere Meinungen nicht. Wir fanden jedoch Kompromisse. Am Ende waren wir total erschöpft, aber auch restlos zufrieden. Das Gut zum Druck war erreicht und alle glücklich.

Genau einen Monat später luden Verlegerin Gaby Baumann-von Arx und ihr Mann Frank Baumann, bekannter Radio- und Fernsehmoderator, uns beide zu sich nach Gockhausen ins Atelier des Wörterseh Verlags, das mit ihrem Wohnhaus zusammengebaut war. Jetzt ging es um die Herstellung eines Trailers zum Buch und um die Fotos für dessen Titelblatt. Lange blieb uns das frohe Beisammensein in Erinnerung. Am 26. Oktober überbrachten uns Gaby und Frank dann die ersten Exemplare direkt aus der Druckerei. Barbara mit ihrer Freundin Doris hatten wir bereits zum Nachmittagstee geladen, ohne von der Überraschung zu wissen. Nun tischten wir Champagner auf und später gab es ein gemeinsames Abendessen in einem nahen Restaurant mit viel Lachen, grosser Erleichterung und ebenso grosser Freude.

Die folgenden Tage wurden wieder hektisch, denn Gaby hatte es nicht verpasst, rechtzeitig die Medien zu orientieren - und diese wollten die Geschichten zum Buch aus erster Hand von den "Hauptdarstellern" selbst erfahren. Hektische Zeiten deshalb, weil gewisse Leute sofort, bereits in einer Stunde ein Interview bei uns zu Hause führen wollten, andere schlugen vor, noch am selben Tag in ihrem Fotostudio zu erscheinen. In diesen etwa zwei Wochen lernten wir viel über verschiedenste Menschen und Vorgehensweisen im Journalisten-Business, aber auch vor allem, was von unseren Geschichten gut ankam und wie wir sie zu erzählen hatten. Später erwies sich das als höchst nützlich, nämlich als wir in den USA mit dem Film tourten und an einem Tag fast fünfzig Interviews auf unserem Programmzettel standen.

… und wie die Vernissage verlief

Am 3. November 2012, einem Samstag wie damals, als wir uns, Röbi und ich, vor genau 56 Jahren erstmals richtig sehen und sprechen konnten, feierten wir die Buch-Vernissage "Verborgene Liebe". Was für ein Weg von jenem Treffen zweier verliebter Jungmänner in der erst kurz zuvor eröffneten "Barfüsser"-Bar bis heute, wo wir mit 82 im grossen Kaufleuten-Saal unser Leben als Buch einer interessierten Festgemeinde vorstellen und diesen Anlass auch noch mit Musik gross feiern durften. Die Begrüssung machte Gaby Baumann-von Arx, die Laudatio hielt Stadtpräsidentin Corine Mauch und Kostproben aus dem Text las die Autorin Barbara Bosshard. Dazwischen befragte Frank Baumann als Moderator uns beide wie auch Barbara. Klaus Wowereit aus Berlin hätte ebenfalls sprechen und aus seinem Vorwort im Buch lesen wollen, aber er war verhindert.

Gerne hätten wir nach dem offiziellen Teil locker weitergefestet und uns vor allem mit bekannten und unbekannten Menschen ausgetauscht. Aber vor dem Büchertisch standen bereits etliche Leute mit frisch erworbenen Exemplaren in der Hand. Das Geschäft geht vor - für uns nicht ganz neu - also an die Arbeit mit Widmungen schreiben, signieren, ein knappes Gespräch führen, nach Familien- oder Vornamen fragen, schon lag ein nächstes Buch bereits aufgeschlagen neben dem, das wir eben signierten. Wir schrieben uns die Finger wund, die Kundenschlange schien endlos. Doch einmal stand wirklich die letzte Kundin da, zum Glück eine liebenswerte Person. Sie führte uns ins Restaurant. Dort war Kärgliches übriggeblieben, etwas Suppe, Brot, ein oder zwei Glas Wein. Bis auf wenige Leute hatten sich die Räume geleert. Zum Glück standen Giovanni noch da und Barbara mit Doris und Gaby, wie immer strahlend, und auch Frank. Müde und glücklich fuhren wir durch die feucht-kalte Nacht heimwärts.

Auf Luxus-Tournee

Eine bekannte Schriftstellerin beschloss ihre Buchvernissage mit einem Wort, das ich, damals noch Schüler, nie vergass: "Nun ziehe los, mein Buch! Denn jedes hat sein eigenes Schicksal." Daran dachte ich jetzt. Und tatsächlich, dem Buchstart folgte sofort, fast wie ein Kometenschweif, eine ganze Perlenkette von neun unvergesslichen Ereignissen. Gaby öffnete uns das Geheimnis, von dem wir allerdings schon etwas munkeln gehört hatten: Vom 18. Januar bis zum 2. Februar 2013 würden Röbi und ich ganz konkret - sofern wir wollten - unter dem Titel "Menschen und ihre Geschichten" mit drei anderen Protagonisten und einer Protagonistin des Wörterseh Verlags auf Hotel-Tournee gehen. Sie würde jeweils die Begrüssung machen, Frank kurze Passagen aus den Büchern vorlesen und das Ganze mit Musik begleiten, Daniel Dunkel, Chefredaktor der Schweizer Familie, führe Interviews mit den Protagonisten. Abschliessend gebe es für jedes Buch einen Tisch voller Exemplare zum Kauf und uns bleibe dann die Signatur- und Widmungsarbeit. Sie freue sich, wenn wir zusagen würden, es gehe jedes Mal in ein schönes Grand-Hotel, auch zu exquisitem Abendessen samt Übernachtung und wir seien natürlich zu allem eingeladen. Zuletzt fragte sie noch, ob Röbi bei jeder Vorstellung unseres Buches eines oder zwei seiner Chansons vortragen könnte. Was er dann auch unter viel Applaus tat. Denn völlig klar, wir sagten zu.

Diese wunderbaren Abende sind uns immer in Erinnerung geblieben. Dank des Sponsors Opel und der Medienpartnerschaft der Schweizer Familie kamen sie zustande. Schon auf der Reise zum ersten Ort, Luzern, fand sich die Gesellschaft von uns sechs "Protagonisten" freundschaftlich zusammen, denn Gaby hatte uns gegenseitig die betreffenden Bücher der anderen zukommen lassen. Also wussten wir bereits etwas voneinander und wurden nun zur vielfältigen, fast etwas verschworenen Familie auf Zeit, genossen jeden "Ausflugstag", schätzten jedes Gespräch. Alle waren wir eigenartig und merk-würdig.

Es gab den Erfolgshotelier Aschi, der fast endlos zu erzählen wusste, die knapp dem Tod entronnene ehemals magersüchtige Leonie, den Naturburschen und Senn auf einsamer Alp, Markus, wir beide als einziges Paar und Wisi, ein junger Urner Bauer, der in die Heuballenmaschine kam, beide Arme verlor und dann mit der Rega gerettet wurde. Anfänglich lauschten wir genau den vorgelesenen Buchtexten und spannenden Interviews. Später, bei Ankunft im Hotel, verglichen wir jeweils gwundrig die Zimmer, ein Rundblick, Staunen, mal einen Kommentar und tschüss, bis bald. Normalerweise hätte sich, ausser wohl Aschi, kaum eine/einer von uns je ein solches Hotel geleistet, sicher nicht in der Schweiz. Es war eine Art Märchenwelt, in die wir jedes Mal tauchten - und wir sechs, verglichen mit anderen Hotelgästen, eine verschworene Sondertruppe mittendrin. Die Namen einiger dieser Häuser: Tschuggen in Arosa, Schweizerhof in Bern, Grand Hotel Bad Ragaz und das Interlaken Victoria Jungfrau. Weitere Stationen gab es in Zürich, Luzern, Davos, Basel und Zermatt.

Longseller

Inzwischen ist unser Buch, von Barbara so überraschend mit ihrer eigenen Biografie verwoben, auch zu jenem von Giovanni geworden, dem Dritten in Röbis und meinem Bunde, und auch zu jenem von Doris, Barbaras Partnerin. Damit wurde es zur Grundlage unserer Freundschaft, die fast eine Familie ist. So sehen wir heute das Wirken des Buches in unserem persönlichen Kreis. Doch seit Barbara 2019 das Präsidium von queerAltern übernahm (gegr. 2014) öffneten sich ganz neue Kreise. Denn sie machte den Verein zu einer der erfolgreichsten queeren Gruppierungen des Landes mit heute über 500 Mitgliedern und zwei Sektionen, eine in Basel, die andere in Bern. Die Anerkennung blieb nicht aus: Am 7. September dieses Jahres erhielt queerAltern den Swiss Diversity Award.
Unser Buch ist ein Longseller geworden und heute bei jenen gefragt, die sich in Ergänzung zu den sonst verfügbaren Darstellungen homosexueller Geschichte auch an gelebten Leben über die Vergangenheit orientieren wollen.

Zum Film - ein Neuanfang

Von der veränderten Lage des Filmprojekts berichtete uns Stefan Haupt, Regisseur und Inhaber von Fontana Film, mit der Einladung, wir sollen bitte am 22. Dezember 2011 in sein Atelier kommen. Wir sollten Fotos aus den Anfängen unseres Zusammenseins ab 1956 mitbringen, natürlich zusätzlich auch möglichst persönliche Bilder von Veranstaltungen im KREIS. Tagelang suchten wir aus Alben und Schachteln, in Schubladen und Schrankfächern zusammen, was uns dienlich schien. Wir begutachteten jedes Stück und wählten aus. Viele dieser Fotos sahen wir später wieder und waren völlig überrascht. Denn sie erschienen im Filmabspann zusammen mit Röbis Chanson von der Seltsamen, lockerten die langen Namenlisten auf. Sie sorgten dafür, dass das Publikum bis ganz zum Schluss gebannt in seinen Sitzen blieb.

Rasch ging es nun auch um wichtige Informationsveranstaltungen für illustre Persönlichkeiten, die das Projekt bekannt machen und ihm Gewicht verleihen sollten. So könnten die dringend nötigen Fördergelder fliessen. Das aber erforderte zunächst mutige Risikoinvestitionen von der Contrast Film. Am 30. April 2012 gab es im Zürcher Stadthaus einen ersten derartigen Anlass. Anwesend waren nebst allen für den Film Verantwortlichen u.a. der Zürcher Regierungsrat Markus Notter, Nationalrätin Doris Fiala, die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch, eine Delegation des Vereins Network mit Max Wiener und Oliver Fritz, als Gast der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, viele andere Leute aus Politik und Kultur, auch Röbi und ich als Protagonisten und Freunde, Verwandte, Bekannte. Ebenfalls dabei waren natürlich die Medien, einige Kamerateams, Reporter, Journalistinnen mit Mikrofonen oder Notizblöcken. Das Filmprojekt wurde von inhaltlichen, technischen, finanziellen und zeitlichen Aspekten her erläutert, die Realisierung skizziert und die geschichtliche Bedeutung hervorgehoben.

Das Ganze galt als eine Art "kick off" für eine eher branchenunübliche Finanzierung. Aber was war schon üblich an unserem Projekt? Wir hatten vier Tage zuvor an Ort geprobt und dachten später mit Freude an den Anlass zurück. Es war erneut an Röbi, einige seiner Chansons vorzutragen, begleitet von Oliver. Ivan Madeo und Stefan Haupt haben den Filminhalt mit Mood-Bildern präsentiert und die Mitarbeiter von Contrast Film verteilten den geladenen Gästen Sponsoring-Büchlein. Nach diesem Anlass im Stadthaus haben Ivan und Stefan weitere Sponsoring-Abendessen mit namhaften Gästen veranstaltet. Als wichtige Unterstützer des Projekts standen der engagierte Max Wiener und - überraschenderweise - Gastro-König Fred Tschanz tatkräftig bereit.

Stefan hatte unterdessen mit der Suche nach geeigneten Darstellerinnen und Darstellern begonnen. Von jenem, der den jungen Ernst spielen sollte, berichtete er, über alle anderen liess er uns nichts wissen, denn es sollte später eine Überraschung werden. Am 5. Juli meldete sich ein gross gewachsener, schlaksiger Typ mit schwarzen Haaren, Matthias Hungerbühler. Wir verstanden uns sofort und Röbi fand, er habe tatsächlich etwas von mir. Matthias wollte uns mal zuschauen und zuhören, "tut einfach so, als wäre ich nicht hier". Wir liessen uns im normalen Tagesablauf nicht stören, sprachen aber von uns längst bekannten Dingen, nur damit es nach Konversation tönte. Dann schlug er einen Spaziergang am See vor. Er werde hinter uns gehen und meine Bewegungen beobachten. Wieder zurück setzten wir uns zum Kaffee gemütlich hin, doch Matthias startete eine Art Kreuzverhör zu allem, was uns beide und besonders mich umtrieb, beglückte oder auch verunsicherte. Schliesslich ergab sich ein lockeres Gespräch. Wir schieden fast wie langjährige Freunde. Und ja, befreundet sind wir mit ihm und seiner Freundin noch heute. Als einige meiner Studienkommilitonen später den Film sahen, bemerkten sie, "als wir Matthias in gewissen Szenen von hinten sahen, dachten wir, das ist Ernst, wie er damals war." Nur eine langjährige Schulfreundin meinte, "es fehlt ihm deine Heiterkeit, auch in bösen Situationen." Ihre Bemerkung amüsiert mich noch heute. Nur ein schlechter Schauspieler bringt lediglich eine Kopie zustande…

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Podium 95 Jahre Ernst Ostertag am Samstag, 18. Januar 2025, in der Helferei in Zürich

dbr. Bald wird Ernst Ostertag 95 Jahre alt. Er lädt aus diesem Anlass zu einem Podium über Vergangenes, Gegenwärtiges und Bleibendes ein.

Das Podium beginnt mit Joh von Felten von der Milchjugend. Dabei geht es um Vergleiche von früher zu heute und um das, was Queers von anderen Menschen unterscheidet. Mit Daniel Bruttin von network und dem Verein schwulengeschichte.ch wird über network als Heimat und über die Bedeutung der Website gesprochen. Abschliessend wird Ernst sich mit Barbara Bosshard von queerAltern u.a. zum Sinn des Alterns und über die Heiterkeit im Alt-sein unterhalten. Danach gibt es auch Zeit für Fragen aus dem Publikum. Der anschliessende Apero bietet allen Anwesenden die Möglichkeit zum Besprechen von weiteren Fragen und zu anderweitigen Gesprächen.

Für die Veranstaltung ist eine Anmeldung und ein kleiner Beitrag von CHF 10 notwendig. Der Erlös kommt dem Verein schwulengeschichte.ch zugut. Einen Link zur Anmeldung, die ab 15. Dezember möglich ist, werden wir im Dezember-Newsletter veröffentlichen.