Newsletter 169

Januar 2024

Diese Ausgabe enthält die folgenden Themen:

  • 2024 wird unsere Website 15 Jahre alt
  • Mit guten Vorsätzen ins Jubiläumsjahr!

2024 wird unsere Website 15 Jahre alt

eos. Aufgeschaltet wurde schwulengeschichte.ch zur EuroPride 2009 in Zürich. Es war ein grosses Ereignis. Erstmals präsentierte ein europäisches Land die Geschichte seiner homosexuellen Mitbürger in aller Öffentlichkeit so, dass sie gratis und überall einsehbar war. Zusammengetragen natürlich von Betroffenen selbst. Wer sonst hätte das getan?

Diesem Ereignis vorausgegangen war sieben Jahre zuvor eine von Frauen und Männern gemeinsam erarbeitete Ausstellung im Zürcher Stadthaus. Sie trug den Titel "unverschämt. Lesben und Schwule gestern und heute". Ursprünglich war eine Art Katalog zu dieser Ausstellung geplant. Darin sollte die ganze Geschichte unserer Minderheit in Bildern und kurzen Texten zum ersten Mal schriftlich dargestellt werden. Im Lauf des Arbeitsprozesses erweiterte sich der Katalog zum zwei- bis dreibändigen Werk und am Ende, nach sechs Jahren, blieb nur noch die digitale Form einer Website realisierbar. Das war damals relativ neu. Nur Fachleute hatten eine klare Vorstellung davon. Vielen Sponsoren, etwa Stiftungen, Kulturfonds, fehlten noch Regelungen zur Unterstützung von Websites. Sie sprangen alle ab. Dennoch, das Werk musste in einem halben Jahr publiziert, also aufgeschaltet sein. Es stand als einer der Höhepunkte des Zürcher Grossanlasses EuroPride fest im Programm. Ein Kraftakt stand bevor, ermöglicht durch neue Sponsoren. Er gelang. Allerdings, so wie sich die Website damals präsentierte, würde sie heute von niemandem mehr genutzt.

In Tag- und Nachtschichten arbeiteten nun die Spezialisten. Es gab nur relativ wenige von ihnen. Alle stammten aus der Community und alle waren bereit zum weitgehend freiwilligen Einsatz. Ein Aufruf unter Mitgliedern von Network brachte sie zusammen und zusätzlich auch den stets benutzbaren Arbeitsraum. Die Sponsorengelder reichten knapp für alle Unkosten. Am Tag vor der Vernissage gab es eine Pressekonferenz, zu der alle nötigen Unterlagen bereitstanden. Dazu gehörte eine Broschüre zur Website, die auch an über 700 Persönlichkeiten und Körperschaften sowie an alle Sponsoren verschickt wurde.

Vernissage mit illustren Persönlichkeiten

Die Aufschaltung selbst konnte wie geplant am 3. Juni 2009 um 19 Uhr mit einem Vernissage-Festakt im vollbesetzten Vortragssaal des Zürcher Kunsthauses stattfinden. Dabei hielt Regierungsrat Markus Notter von der Zürcher Kantonsregierung eine berührend persönliche Eröffnungsansprache, worauf die eben in ihr Amt eingetretene Stadtpräsidentin Corine Mauch in ihrer Rede die Wichtigkeit einer Geschichte homosexueller Menschen und das Einmalige hervorhob, dass sie in der modernen Form einer Website zugänglich und damit klar als noch weiterzuführende Emanzipationsgeschichte angelegt sei. Sie begann mit dem Titel, den die Website damals trug: "Es geht um Liebe". Dies, weil genau in der Liebe die Ursache liege für tiefe, langjährige Beziehungen zwischen Menschen, und weil es egal sei, welches Geschlecht diese Menschen haben. Abschliessend sprach der Staatsarchivar des Kantons Thurgau, André Salathé, und erzählte witzig vom Symbol seines Kantons, dem Apfel, der als Pink Apple seinen Platz im Namen und Signet des bekannten Filmfestivals eingenommen habe. Aber echt, er wolle hier auch vom Thurgauer Bundespräsidenten berichten, der 1931 entscheidend zur Entkriminalisierung homosexueller Akte im neuen Strafgesetz beigetragen hatte. Eine persönliche Begegnung mit dem bei ihnen berühmten Theaterleiter Karl Meier schilderte der Archivar zum Abschluss. Dieser Thurgauer sei im fernen Zürich als "Rolf" und Leiter des KREIS zur eigentlichen Gründerfigur der ganzen Community-Geschichte geworden.

Röbi Rapp, begleitet von Oliver Fritz am Flügel brachte zwischen Ansprachen und dem Akt der Aufschaltung mit einigen seiner Chansons etwas Auflockerung und Entspannung. Zum Schluss, während des reichhaltigen Aperos, wurde jedem Gast die 75-seitige Broschüre abgegeben. Sie enthielt ausgedruckte Kapitel aus diversen Epochen der Website. Damit hatten alle etwas Festes in der Hand, das sie nach Hause nehmen konnten. Es war ein schmaler Ersatz für das einmal versprochene Buch, das nun unfassbar irgendwo im elektronischen Universum schwebte, aber mit wenigen Klicks auf jedem Bildschirm oder Handy erschien. Wer wollte, konnte die Broschüre von den Autoren signieren lassen.

Website bleibt präsent, verlangt aber ständigen Unterhalt

Was wir an jenem schönen Festakt nicht wussten, aber bei Gesprächen zu ahnen begannen, war die bald einmal Realität gewordene Tatsache: Das ins Netz geschaltete dicke Buch mit seinen umfangreichen Kapiteln erforderte dauerndes herunterscrollen, was sich Lesende, die nun User hiessen, nicht gewohnt waren. Zudem verloren sie dabei den Überblick. Also hiess es nach kurzer Zeit, das ganze Werk sei vollständig umzuformen.

Die nächsten drei Jahre verbrachte ich damit, jedes Kapitel in einzelne "Webpages" zu zerschneiden, neue Titel über die Teile zu setzen und jedem Kapitel eine zusammenfassende Einleitung voranzustellen, was die Fachleute "Intro" nannten. Bald war es an mir, den Überblick nicht zu verlieren. Also fügte ich grösseren Kapiteln oder Abschnitten noch Zeittafeln und teilweise einführende Übersichten hinzu, was nochmals fast zwei Jahre in Anspruch nahm. Während dieser Arbeit spürte ich mehr und mehr, dass alle neuen Texte zusammengenommen wohl jenem ursprünglich geplanten, aber nie zustande gekommenen Ausstellungskatalog sehr nahe kamen. Aber in der Website sprachen Hunderte von Protagonisten, Zeitzeugen, Kämpfer und Opfer durch ihre eigenen Aufzeichnungen, Gedanken, Berichte direkt mit und blieben so für immer lebendig. Genau das war es, was wir wollten. Die Form der Website hat es ermöglicht.

Mit guten Vorsätzen ins Jubiläumsjahr!

hpw. Zu allererst: Viel Freude, viel Glück, viel Gesundheit und alles Gute für dieses neue Jahr wünscht euch der Vorstand des Vereins schwulengeschichte.ch. Auf dass wir alle neue Herausforderungen annehmen und meistern können! Bald sind es 15 Jahre her, da schwulengeschichte.ch im weltweiten Netz auftauchte. Eine Website bleibt präsent, muss aber ständig unterhalten werden. Das beschreibt Ernst Ostertag in seiner Kolumne in diesem Newsletter. Wir vom Vorstand haben Vorsätze: Stetig soll die Website weiterentwickelt werden. Falls Sie, liebe/r Newsletter-Abonnent/in, noch einen einfachen Vorsatz für dieses Jahr brauchen, könnte dieser heissen: Ich werde Mitglied oder Spender bei schwulengeschichte.ch.

Oft passieren grosse Dinge auch einfach im Hintergrund. Im letzten Jahr konnten wir unsere Website technisch neu gestalten. Das klingt langweilig, ist es in diesem Fall allerdings nicht: Vorbei ist das Warten auf die spannenden Inhalte. schwulengeschichte.ch ist jetzt rasend schnell.

Wäre damals in 2009 ein Buch publiziert worden, wie das geplant gewesen war, dann wäre es schon lange verstaubt und vielleicht sogar vergessen. Die Macher von damals wagten ein zukunftsträchtiges Projekt. Eine Website, durch die unsere Geschichte sichtbar bleibt. Der Verein schwulengeschichte.ch hat den Auftrag, dieses Erbe zu erhalten, zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Zu Beginn des Jubiläumsjahres 2024 dankt der Vorstand des Trägervereins Ernst Ostertag für die unermüdliche grosse Arbeit, den ehrenamtlichen Mitarbeitern für ihren Einsatz und allen Mitgliedern und Spendern für ihre Unterstützung. Gleichzeitig freuen wir uns auf jede Person, die uns zukünftig unterstützen will, sei es durch Mitarbeit, Mitgliedschaft oder eine Spende.

Wir können nur begrenzt beeinflussen, was in den nächsten 12 Monaten geschehen wird. Aber da, wo wir es können, wollen wir aus 2024 ein richtig gutes und erfreuliches Jahr machen.