Genie, spitze Zunge, Galionsfigur und Abschied

"1937 [mit 22] hat Spillmann in Basel seine erste Modeschau gestartet. Dank seinen Beziehungen zu Paris erhielt er die allerschönsten Stoffe. Und dank seinen Lehrjahren bei der Schiaparelli wusste er: Haute Couture ist das eine – das grosse Theater, der Klamauk drum herum das andere. Spillmann war damals schon klar, dass ohne PR in seinem Fach gar nichts läuft. Er machte also seinen 'Cocktail', die eigentliche Vernissage der Modenschau, zu einem Event. Die Gäste mussten sich mit Pässen ausweisen – die Presse schrie bereits 'Halleluja', bevor das erste Modell gezeigt wurde.


Als Paris von den Deutschen besetzt wurde [16. Juni 1940], liess Spillmann in seinen Salons einen trauerschwarzen Abendmantel mit dem Modellnamen 'Paris' präsentieren. Als das Mannequin den Mantel öffnete, war das Futter in glänzendem Blau-Weiss-Rot gehalten. Darüber gestickt funkelte in Gold: 'Je reviendrai'. Die Sache kam gross in die Presse – und so kam auch die Einladung aufs deutsche Konsulat. Die Familie beschwor Spillmann nicht hinzugehen. 'Aber ich scherte mich einen Dreck darum und ging', berichtete er in seinen Erinnerungen. 'Heil Hitler! grüsste mich der Konsul. Heil dir Helvetia! grüsste ich zurück. Darauf hat er mich angelächelt: Es passiert Ihnen nichts – wir möchten nur wissen, ob Sie jüdisches Geld in Ihrem Geschäft haben. Ich lächelte zurück: Das geht Sie einen Scheissdreck an. Und jetzt muss ich gehen – da unten warten nämlich zwei Polizisten auf mich! Das war mein Abgang. Polizisten warteten übrigens keine.' Die spitze Zunge gegenüber Hitler-Deutschland, das extravagante Auftreten und die provokativen Modelle an der Modenschau hatten Folgen. 'Eines Tages hörte ich, wie meine Näherinnen tuschelten. Unsere Couture-Mauer war beschmiert worden: Schlagt Fred Spillmann den Schädel ein! Zwei Tage zuvor hatte ich im deutschen Grenzort Lörrach meinen eigenen Kopf an der Litfasssäule kleben gesehen – ausgeschrieben als deutscher Staatsfeind. Es war übrigens ein ganz hundsmieses Foto!'


Später ist Spillmann immer wieder gefragt worden, wie er diese schwierige Zeit so furchtlos durchgestanden habe. Er hat es auf einen Nenner gebracht: 'Meine Familie und meine Stadt haben mich geschützt – das habe ich beiden nie vergessen. Und bin deshalb auch nie aus Basel weggezogen, auch wenn Paris und London immer wieder lockten.' In Basel konnte er auch sein Schwulsein ausleben. Für den 'Basler Daig' [Basler "Aristokratie", Anm. des Autors] war Spillmann, der aus gutbürgerlichem Milieu stammte und nicht zur daigigen 'Dalbe' gehörte, mit seinem Outfit, das immer mehr an eine alternde Drag-Queen erinnerte, an jeder Einladung ein grossartiger Farbtupfer. 'Leute wie ich, Paradiesvögel und Wundertüten, die heutigen Hofnarren der Gesellschaft also, sind wie Jokerkarten. Man kann uns an einen Hurentisch oder zu den Aristokraten setzen – wir passen immer. Aber wir müssen uns bewusst sein: Wir gehören nicht dazu.'
[…] Für die Basler war er das 'monstre sacré', über das sie wohl Witze und Schnitzelbängg machten (die er übrigens sehr genoss), das sie aber hoch verehrten und mit einer der höchsten Auszeichnungen der Stadt, dem 'Ehrenspalenberglemer', dekorierten. Immer breitfächiger zeigten sich seine Begabungen. Er wurde ein viel umjubelter Gastgeber, ein Künstler, der mit seinen Zeichnungen und Plastiken beim Kult-Galeristen Felix Handschin auch an der Hammer-Auktion mitwirkte.

Und für die Schwulen war er eine Jahrzehnte überdauernde Galionsfigur, die bereits in den dreissiger Jahren alle Tabus brach und das Wort 'schwul' entkrampfte. Als er zur 100. Couture-Show in seine Salons bat, wurde der Event wochenlang vorher mit dem Abdruck seiner Memoiren als Sommerserie in der Tageszeitung und seinem Kopf auf den Plakatwänden eingeläutet. 


Auch dieser Event war von A bis Z vom Meister selbst inszeniert. An der Hauptprobe zu dieser Modenschau im September 1986 setzte Spillmann die letzten Korrekturtupfer an – dann zog er sich auf seine rote Insel zurück, in diese blutrot eingefärbte Wohnung, wo er seit Jahrzehnten alles Tageslicht aussperrte. Er legte sich aufs Bett und bat seinen Lebensgefährten, ein Fenster zu öffnen: 'Ich will den Himmel sehen!' 'Das gibt eine grossartige Schau', sagte Péghy. Es kam keine Antwort mehr.


Drei Tage später ging die 100. Modenschau von Fred Spillmann in den übervollen Salons über die Bretter. Es war totenstill. Der Meister fehlte. Und doch war er nie präsenter gewesen als in jenem Moment."

Ernst Ostertag, Januar 2020

Quellenverweis

Auszug aus: -minu: König der Selbstdarstellung, in: NZZ am Sonntag, 21.09.2003, S. 87.