ab 534
Ächtung
"Schwul ist Mann. Das kann keiner lernen oder anerzogen bekommen. Schwul sein ist eine Gabe."
Fred Spillmann, 1915-1986, Couturier, Basel
Nichts spornt den Menschen und seinen Geist so an, wie das Eindämmen seiner Freiheit und seines naturgemässen Entfaltungstriebes. Eine Tatsache und Erfahrung so alt wie die Menschheit. Und sie erhält eine besondere Bedeutung, wenn Ausgrenzungsversuche und Ausgrenzungsmechanismen gegenüber Homosexuellen betrachtet werden.
Denn diese Ausgrenzung und Ächtung begann im europäischen Kulturkreis spätestens mit der Gesetzgebung durch Kaiser Justinian, der im Jahre 534 die "Sünde Sodoms" als mit dem Feuertod zu bestrafendes Vergehen in seinen corpus iuris civilis aufnahm (nach kirchlicher Auffassung galt diese Sünde als Ketzerei).
Die Schwulengeschichte besteht zu hundert Prozent aus Überlebensstrategien von Menschen, die schuldlos zu "Schuldigen" gestempelt wurden und schliesslich nicht mehr länger Opferlamm sein wollten, sondern um ihr Recht, um Anerkennung und Akzeptanz zu kämpfen begannen, wohl wissend, dass es in ihrem Kampf um selbstverständliche Menschenrechte geht und damit um eine offene, demokratische Gesellschaft für alle.
Andererseits ist unsere Geschichte auch die Geschichte der meist schwierigen Einsicht in die eigene gleichgeschlechtliche Natur. Denn jeder trägt bewusst oder unbewusst das mentale Erbe von Vorstellungen und Verhaltensweisen der "natürlichen Normalität" in sich, welche die jahrhundertelange Repression des "Widernatürlichen" gefestigt haben. Wir erben das nicht von unseren Eltern allein, wir eignen es uns an vom gängigen "normalen" Rollenbild, das uns überall begegnet. Und wir müssen es durchschauen und als für uns untauglich ablegen. Das ist ein jahrelanger, mühsamer Prozess, der zu unserer persönlichen Geschichte gehört.
Ernst Ostertag, März 2005