Kommentar aus heutiger Sicht
Die Gegenüberstellung der beiden Paare - jenes im Alten Ägypten zu jenem auf dem Zürcher Scheiterhaufen - zeigt den Gesinnungswandel, der die Liebe zweier Männer vom anerkannten Status zum Geschehen machte, das die Kapitalstrafe bedingte.
Die folgenden Kapitel behandeln die lange Geschichte dieses Wandels. Dabei sollen nicht "Schuldige" benannt, sondern Gründe aufgezeigt und zunächst einmal Anfänge dieses Geschehens gesucht werden, das dazu führte, eine Form von Liebe, eine Form des Besten, was Menschen einander bieten und miteinander leben können, zum Geächteten und Ausgestossenen zu degradieren.
Ohne ein Hinabsteigen zu den Wurzeln des Hasses auf den gleichgeschlechtlichen Eros sind die Bemühungen zur Befreiung, die langen Kämpfe zur Schwulenemanzipation kaum zu verstehen.
Zudem: zur Beschäftigung mit Schwulengeschichte gehört auch ein Verständnis der tief verinnerlichten Distanz, Abwehr und des Ekels vieler Heterosexueller gegenüber homosexuellen Mitmenschen und ihrer Lebensform. Das Hinabsteigen hilft allen, auch sie sind Betroffene - wie die Schwulen. Den Prozess der Befreiung müssen auch sie bei sich selber nachvollziehen können. Nach 1500 Jahren Ächtung gibt es keinen von europäischer Kultur geprägten Menschen mehr, der nicht auch von der Ächtung geprägt ist. Indem wir sie zur Kenntnis nehmen und durchschauen, können wir sie ablegen.
Ernst Ostertag, August 2010, August 2023