1932-1936

Literatur und Aufklärung

Erschienen im Schweizerischen Freundschafts-Banner

Gute Literatur vermochte aufzuzeigen, dass ein gefährdeter Mensch, der am Unverständnis seiner Umgebung litt, durch Geschichten, Gedichte, Lebensbilder und Hinweise auf wertvolle Bücher, durch Zeugnisse anderer Schicksalsgenossen sich weniger alleingelassen fühlen und etwas Orientierung und Mut finden konnte.

Doch gute "einschlägige" Literatur war nicht leicht zu finden. Oft musste sie aus einem grösseren Werk zusammengestellt werden; längere Zitate bedurften einleitender Sätze, Erklärungen oder Schlussbemerkungen mit weiterführenden Hinweisen. Bis 1938 machten das Karl Meier / Rolf und Anna Vock / Mammina allein (anfänglich auch noch mit Laura Thoma zusammen). Dabei halfen sie sich mit selbst Verfasstem aus, weil das oft einfacher ging. Vor allem Karl Meier benutze mehrere Pseudonyme, um zu kaschieren, dass (zu) viel Literarisches aus einer einzigen Feder stammte. Denn es war ihm ein Anliegen, auch mit "moralisch-ethischen" Beiträgen oder Kommentaren seinen Lesern das hohe Ideal des einwandfreien Homoeroten wieder und wieder vor Augen zu führen.

Als Beispiele wählten wir u.a. ein von Karl Meier verfasstes Weihnachtsgedicht, eine Textpassage aus Maurice Rostands (französischem) Theaterstück zum Oscar Wilde-Prozess und den Bericht über einen Fall von tragischem Suizid mit einem Gedicht von Karl Meier, das den Titel "Einem Selbstmörder" trägt. Abschliessend folgt ein anklagendes Gedicht des deutschen Pioniers Karl Heinrich Ulrichs mit der Überschrift "Auf den zu Tode Gehetzten…".

Alle Beispiele galten seinerzeit als "gute Literatur" und konnten jedem Aussenstehenden zu Aufklärungszwecken überreicht werden. Sie sind, von heute gesehen, durchweg besinnliche, teilweise erschütternde Zeugnisse - und als solche auch Hinweise zur Lage, zur Zeit und Befindlichkeit der kleinen, immer wieder gefährdeten, aber stets fest zum Weiterkämpfen entschlossenen Gruppe.

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Ernst Ostertag, August 2010