Zur Tragik der Selbsttötung

Gute Literatur vermochte aufzuzeigen, dass ein gefährdeter Mensch, der am Unverständnis seiner Umgebung litt, durch Geschichten und Gedichte anderer Schicksalsgenossen sich weniger alleingelassen fühlen und etwas Orientierung und Mut finden konnte. Und dann vielleicht den Ansporn hat, der Redaktion zu schreiben. Immer wieder gab es tragische Beispiele von Selbsttötung, die bewusst thematisiert wurden, um offene Gespräche anzuregen. Nachfolgend ein solcher Bericht unter dem Titel "Zu späte Reue"1:

"In Luzern hat dieser Tage ein junger Mann freiwillig den Tod gefunden. Seine Eltern haben erfahren, dass ihr Sohn homosexuell ist und ihm darüber die bittersten Vorwürfe gemacht. Sie machten ein grosses Geschrei auch Aussenstehenden gegenüber, bis es schliesslich dem Arbeitgeber zu Ohren kam. [...] So wurde die Stellung gekündigt. Diese Ächtung und Beschämung [...] sollte wohl nach der irrsinnigen Taktik der Eltern den Sohn zur 'Vernunft' bringen. [...] Dass ihm seine Natur von den eigenen Eltern zum Verbrechen (gemacht) wurde, nahm ihm die letzte Kraft. [...] Wir sehen, wie eminent wichtig es ist, überall aufklärend zu wirken. [...]"

Unter dem Titel "Einem Selbstmörder" veröffentlichte Karl Meier ein eigenes Gedicht als Nachruf. Es bezieht sich auf einen ihm bekannten Kameraden2:

Du hast gewählt. -
In Deiner Jugend Blüte
Stiessest Du auf die grosse, dunkle Pforte,
Die man nur einmal öffnet, zag und schwer …
Dich rufen Tränen nicht und Bitten mehr
Und auch nicht eines Freundes gute Worte.
In Deiner Jugend Blüte
Hast Du gewählt.

Sie hat's erreicht,
Die wilde Spiesser-Meute.
Geifernd und eklen Sinnes jagte sie Dich Monde.
Sie wand die Schlinge - und Du gingst hinein,
Verbiss'nen Trotzes - Er liess Dich allein - .
Was blieb denn noch, das sich zu leben lohnte…?
Die wilde Spiesser-Meute
Hat es erreicht.

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Ernst Ostertag, Juni 2004

Quellenverweise
1

Karl Meier, gez. Rudolf Rheiner: Schweizerisches Freundschafts-Banner, Nr. 14/1932 vom 15. Juli.

2

Schweizerisches Freundschafts-Banner, Nr. 17/1934 vom 1. September.