Friedrich von Hartenberg

Die ersten mann-männlichen Liebesbriefe

Ab 1795 begann die Briefaffäre mit dem in Wien wohnenden, damals 15-jährigen Schaffhauser Friedrich von Hartenberg. Dessen Mutter hatte den 43-jährigen Johannes von Müller gebeten, dem Jungen zu rechter Ausbildung und Einführung in gehobenere Gesellschaftskreise zu verhelfen. Müller willigte gerne ein, denn "Fritz" erschien ihm als intelligenter und schöner Bursche. Sieben Jahre dauerte diese Förderung, obwohl bald klar wurde, dass "Fritz" faul, eitel und nur an Äusserlichkeiten interessiert war.

Im Juli 1802 begann Fritz von Hartenberg seine erpresserischen Briefe zu schreiben. Darin täuschte er einen Grafen Louis vor, der sich in ewiger Liebe mit Müller verbinden wolle. Er habe im Krieg seinen Liebhaber verloren und sehe nun in Müller den idealen Mann einer neuen Liebesbeziehung. Er habe, 36 Jahre alt, den jungen Fritz von Hartenberg adoptiert und werde bald ein sehr grosses Erbe antreten. Er bitte nun Müller um finanzielle Hilfe für den Jungen zur Überbrückung der momentanen Notlage bis zur Einsetzung in sein Erbe, worauf er alle Schuld reichlich tilgen werde.

Das tönte zwar wie in einem schlechten Roman, aber der sichtbar alternde Gelehrte ging blind darauf ein. In zehn Monaten schrieb er mehr als hundert Briefe an seinen geliebten "Grafen Louis", gab sein ganzes Geld an Hartenberg, machte Schulden - bis im Mai 1803 der Betrug aufflog. Diese Affäre und der anschliessende Prozess bereiteten Müllers Aufenthalt in Wien ein Ende. Seine Stellung als Gelehrter und sein Ansehen in der Gesellschaft blieb jedoch - vorläufig - unberührt. Das änderte sich erst drei Jahre später mit seiner öffentlich ausgesprochenen Bewunderung für Napoleon.

Die "Hartenbergbriefe" sind Zeugnis für eine innere Situation von bewusst empfundener gleichgeschlechtlicher Liebe, die sich hier wohl erstmals in deutscher Sprache prägnant und gültig äusserte. Seine

"Lage liessen Müller eine Sprache erfinden, die bislang unerhört war, um gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern auszudrücken, indem [...] ganz selbstverständlich erotisch-sexuelles Begehren dazwischenformuliert und damit Ebenen vermischt wurden, welche in der Vormoderne noch strikt getrennt sein mussten [...]. Hier ergiesst sich ein komplexer Charakter in denjenigen eines geliebten Anderen, es sind echte Liebesbriefe [...]. Vielleicht entwickelte Müller aufgrund seiner umfassenden Kenntnis der Geschichte, seiner Kenntnis von Textmassen, die er (wie nach ihm auch Heinrich Hössli) auf mann-männliche Episoden hin scannte, ein besonderes Bewusstsein für sein Begehren nach einem erotisch-sexuellen Verhältnis zu einem ihm gleichen Freund, das sich von den zeitgenössischen Kategorien des Päderasten2, Sodomiten3, Kinäden4 oder auch blossen Freundschaftsfreundes abhob."1

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Ernst Ostertag, Januar 2005

Quellenverweise
1

André Weibel, Anmerkungen zu Johannes von Müllers Männerliebe, Vortrag, 2004.

Anmerkungen
2

gleichgeschlechtliche Beziehungen zu bezahlten oder beschützten Domestiken

3

dem gewöhnlichen Volk von Kirche und Recht verbotener analer, oraler Verkehr oder Masturbation

4

allgemein geächtete "Tunte"