1867

Deutscher Juristentag

Die Rede am 29. August 1867

1867 trat Ulrichs als erster Mensch überhaupt vor seine Fachkollegen und forderte während des deutschen Juristentages öffentlich die Entkriminalisierung homosexueller Handlungen. Als er wenig später von Hössli hörte und dessen "Eros" las, erkannte er sofort den mutigen Vorläufer. In Wort und Tat war er jedoch wesentlich radikaler als Hössli: Er regte an, einen "Urningsbund" zu gründen - und auf dem Juristentag in München hat er sich selbst als Urning bekannt - oder geoutet, wie man heute sagen würde. Aus dieser Rede:

"[...] Es handelt sich, meine Herren, um eine auch in Deutschland nach Tausenden zählende Menschenklasse, [...] welcher viele der grössten und edelsten Geister unserer sowie fremder Nationen angehört haben, [...] welche Menschenklasse aus keinem anderen Grunde einer strafrechtlichen Verfolgung, einer unverdienten, ausgesetzt ist, als weil die rätselhaft waltende schaffende Natur ihr eine Geschlechtsnatur eingepflanzt hat, welche der allgemeinen gewöhnlichen entgegengesetzt ist. [...] Wir wollen nicht länger verfolgt sein! Wir wollen uns nicht mehr verfolgen lassen! [...]"

Ulrichs kam nicht über die Anfangspassagen hinaus. Er wurde unterbrochen, niedergeschrieen und musste den Saal verlassen.1

Von nun an schrieb Ulrichs unter seinem vollen Namen und veröffentlichte die ungekürzte Rede unter dem Titel Für die Freiheit diese Lanze! Seine Sprache war, mit Hössli verglichen, offensiv und seine Forderungen waren kompromisslos. So auch in den der Rede beigefügten Abschnitten:

"Obgleich schliesslich gewaltsam unterdrückt, war mein Protest dennoch ein gegen das System zum ersten Mal geführter Stoss. Dieser Stoss hat eine Bresche gebrochen: und diese Bresche soll und muss diesseits benutzt werden um nachzudringen."

Hier fügte er eine interessante Anmerkung hinzu:

"Ein Schweizer, Dr. med., schreibt mir, Bern, 12. Oktober 1867:

'Dass Ihr Thema in München keinen Anklang fand, liess sich voraussehen. Die Hauptsache ist indes, dass das Thema einmal öffentlich zur Sprache gekommen und dadurch der ganzen Sache ein Anstoss gegeben ist.' 

Und später:

'Sie dürfen sich trösten mit Berryer in Paris. Lasen Sie seine feurige Rede vom 14. Februar im 'corps législatif' über die abhängige Stellung der französischen Richter? Auch diese glänzende Rede ward ja von der Majorität erstickt. Der Hieb freilich ist geführt, und solch ein Hieb kann nicht ohne Wirkung bleiben.' "

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Ernst Ostertag, September 2006

Anmerkungen
1

In einem Brief vom 26.5.2006 schrieb Beat Frischknecht an Ernst Ostertag: "Irgendwo in den WhK-Mitteilungen (Wissenschaftlich-humanitäres Komitee, Berlin) habe ich auch mal Hirschfelds triumphierenden Hinweis gelesen, dass ein Sohn des damaligen Präsidenten des Juristentages, der Ulrichs des Saales verwiesen hatte, nun Mitglied des WhK sei!"