Gegensätze

James und Annemarie Schwarzenbach

Ein Beispiel für die schroffen Gegensätze dieser Zeit, die sich selbst innerhalb einer Familie auswirken konnten, gibt Annemarie Schwarzenbachs Cousin James Schwarzenbach (1911-1994), der sich ab 16. November 1934 als Mitglied der Nationalen Front an den Krawallen gegen die "Pfeffermühle" beteiligte.

"Hin und wieder publizierte er Artikel im 'Eisernen Besen', dem Hetzblatt der Nationalen Front. Im November 1934 spielte er in dem von Zürcher Frontisten gegen das antifaschistische Kabarett 'Pfeffermühle' angezettelten Tumult eine Hauptrolle. Mit einer Trillerpfeife gab er das Zeichen zu einem wüsten Radau, während dessen Erika Mann und ihre Mitstreiter mit Rufen wie 'Jude verrecke!', 'Hinaus mit den Emigranten!' und 'Die Schweiz den Schweizern' eingedeckt wurden."1

1967 wurde er als Vertreter der NA (Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat) in den Nationalrat gewählt, dem er bis 1978 angehörte. Als Nationalrat taufte er die NA um in Republikanische Partei. Die heutigen SD (Schweizer Demokraten) sind Nachfolger dieser Partei.

Annemaries Mutter sympathisierte mit den Nazis und unterstützte das Treiben ihres Neffen James. In seinem Buch "Die Geborene, Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie"2 schildert Alexis Schwarzenbach die komplexe und oft schwierige Beziehung von Mutter Renée und Tochter Annemarie.

Annemarie fand einen verständnisvollen Freund im zwölf Jahre älteren Pfarrer Ernst Merz, der sie 1924 konfirmiert hatte. Ihm eröffnete sie bereits 1925, als 13-Jährige, ihre erotische Hingezogenheit zu Frauen und erzählte in Briefen von den politischen Differenzen zur Mutter und von den Schwierigkeiten mit der Freundin ihrer Mutter, der bekannten deutschen Sängerin Emmy Krüger. Ernst Merz war ihr ein diskret vertrauter und stets hilfsbereiter Gefährte, der auch zwischen Mutter und Tochter zu vermitteln versuchte.3

Nach persönlichen Mitteilungen, die er mir (Ernst Ostertag) gegenüber machte, gehörte Ernst Merz (1896-1977) zum "äusseren" George-Kreis und in Gesprächen nannte er den Dichter Stefan George (1868-1933) stets "Meister". In den 40er Jahren wurde Merz Abonnent des Kreis und schrieb für die Weihnachtsnummer 1954 einen Aufsatz mit dem Titel "George und das Christentum". Bereits im Dezember 1945 erschien im Kreis eine Besprechung seines Buches "Macht und Geheimnis der Erziehung". Dabei stellte ihn die Redaktion als "ehemaliger Religionslehrer am Gymnasium Zürich" vor.4 1955 lernte ich ihn im KREIS kennen und war dann gelegentlich Gast in seinem Haus bei Sant'Abbondio hoch über Ranzo am Lago Maggiore (TI).

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Ernst Ostertag, September 2004

Quellenverweise
1

Aram Mattioli: Tages-Anzeiger, 12.9.2005, Seite 49, Buchbesprechung "Schweizer erwache!"

2

Alexis Schwarzenbach: Die Geborene, Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie, Scheidegger & Spiess, Zürich, 2004

3

Alexis Schwarzenbach: Die Geborene, Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie, Scheidegger & Spiess, Zürich, 2004, Seite 222

4

Ernst Merz: Macht und Geheimnis der Erziehung, Besprechung in Der Kreis 12/1945, Seite 28