ab 1933

Systeme der Ausgrenzung

Nazi-Erfindung des Rosa Winkels - Rosa wird Schwulenfarbe

Wenn Psychopathen wie Hitler, Verbrechertypen wie Himmler sich mit anderen kriminell Veranlagten, mit Egomanen und fanatisierten Starrköpfen paaren, eine National-Ideologie entwickeln und Terror zur "rechtmässigen" Entfaltung ihrer Macht einsetzen, dann fallen die ethischen Grundlagen und werden zu Hülsen, hohlen Metaphern oder schieren Masken für alles, was bislang Kultur war. Die Tragödie Deutschlands war es, diesen Weg auf- und vorgezeigt bekommen und beschritten zu haben, vielfach nicht aus eigenem Willen, sondern - eben - aus vorgegaukelten, nie erfüllten, getäuschten "Hoffnungen".

Nun war das neue System da und es kannte keine Gnade. Wer als unpassend definiert wurde, war Volksfeind und musste eliminiert werden. Das System fand, seinem Charakter entsprechend, stets die zynischste Methode des Lächerlichmachens für jede Art von "Schädling am gesunden Volkskörper". Er sollte zur Unperson werden, ehe man ihn liquidierte. Und er sollte das innerlich nachvollziehen, Unperson sein. Dann war die Liquidation rechtmässiges Ende seiner Un-Existenz. So wollte es die Theorie. Die Praxis überstieg jede Vorstellung.

Dies galt für 175er (Homosexuelle) so wie für alle anderen, nur noch etwas mehr, weil 175er in der Hierarchie der Konzentrations- und Todeslager das Letzte waren: Die Mädchenfarbe rosa war die ihre, Mithäftlinge konnten sie in jeder Form missbrauchen.

Sie blieben auch nach dem Untergang der Nazis verfolgt und ausgegrenzt, von Gesetz wegen und im Bewusstsein der Volksmehrheit. Selbst die Verbände der KZ-Überlebenden schlossen sie aus; ein eklatantes Beispiel für den nachhaltigen Erfolg der Nazi-Theorie. Eine Anerkennung dieser total erniedrigten, letzten Terror-Opfer begann erst 40 Jahre (!) nach Kriegsende langsam ins allgemeine Bewusstsein einzusickern. Heute gibt es Mahntafeln an diversen Orten und ein Mahnmal in Berlin, neben jenem für die Opfer des Holocaust.

Im vorausgegangenen Kapitel über das tragische Schicksal Leopold Obermayers ist der Nazi-Terror gegen Homosexuelle an einem Beispiel aufgezeigt. Hier nun folgen weitere Opfer-Berichte:

  • zunächst aus dem Kreis über einen Verfolgten in der Nachkriegszeit, der 1949 sogar gezwungen wurde, die Unkosten seines Aufenthalts im KZ nachzubezahlen.
  • Dann folgt ein Hinweis auf jenen KZ-Häftling mit dem Rosa Winkel, der 1972 als erster ein Buch über seine Leidensjahre veröffentlichte.
  • Anschliessend spricht ein Elsässer, stellvertretend für viele: Erst in seinen letzten Lebensjahren konnte er sich dazu entschliessen, sein Schicksal und damit die "Schande", als die er seine Homosexualität im KZ und danach verinnerlicht hatte, aufzuarbeiten und als Buch zu publizieren.
  • Die späte Anerkennung homosexueller Opfer bildet den Schluss - geschehen zu einer Zeit, als die meisten Überlebenden bereits verstorben waren.
  • Wiedergutmachung im Sinne einer Rehabilitierung und finanziellen Entschädigung schildert ein letztes Kapitel der Geschichte von Pink Cross im Teil 8. Denn dieser Dachorganisation der schweizerischen Schwulen war vom Internationalen Hilfsfonds für Nazi-Opfer (INPF) das Auszahlen von Geldern übertragen worden. In den Jahren 2000 und 2001 konnten noch sieben meist in bitterer Armut lebende Männer davon profitieren. Für Tausende von anderen homosexuellen Opfern war es zu spät.

Nach oben

Ernst Ostertag, September 2010