Prostitution

"Ein dunkles Blatt"

Das "dunkle Blatt" Prostitution versuchte Karl Meier als Rudolf Rheiner von der menschlichen Seite her aufzuhellen in einem Essay, den er über die beiden Nummern 10 und 11/1940 verteilte. Er bezog sich dabei auf den "Puppenjungen" von Sagitta und den in derselben Rubrik besprochenen französischen Roman "Hotel zum Goldfisch" von Scouffi, beides Bücher über das Leben eines Strichjungen. Dann fuhr er fort:

"Durch diese Kerle werden immer wieder Skandalaffären aufgerührt, sie begehen kriminelle Handlungen - darum gehört der Strichjunge hinter Schloss und Riegel! - Diese 'Logik' hinkt! [...] In den allermeisten Fällen wird es eben doch Not sein, bittere Not, die Menschen zu dieser Handlung treibt. [...] Wo wir auf solche Kerle stossen, die aufrichtig versuchen, Boden unter den Füssen zu gewinnen, da sollten wir auch versuchen, wirklich zu helfen. [...]

Prostitution - ein dunkles Blatt in der Liebesgeschichte der Menschheit. In unser aller Macht liegt es, es aufzuhellen: wenn wir in jedem Lebensgefährten den Menschen erkennen und anerkennen.

Über die Jahrtausende hinweg leuchtet eines der schönsten und erschütterndsten Bilder: Sokrates am Tage seines Todes, den Arm gelegt um Phaidon, den schönen Jüngling, der allen zu Willen sein musste, die ihn kauften. [...] Der grosse Weise neigt sich in seinen letzten Stunden zum Menschen Phaidon [um ihm die Unsterblichkeit der Seele zu erläutern]. Wie einige hundert Jahre später der Zimmermannssohn aus Nazareth sich zur Dirne Magdalena neigt und in ihr ebenso den zertretenen Menschen grüsst, der im Grunde nichts anderes wollte, als einmal wirklich geliebt zu werden. [...] Gegen Erpressung, Drohung, Gewalt, gegen Verbrechen müssen wir uns schützen. Das steht ausserhalb jeder Diskussion. Wo wir aber vor auswegloser Not stehen, vor Menschen, an denen Menschen unserer Art schuldig wurden, da bleibt nur die Mahnung: Wer unter Euch ohne Fehl ist, der werfe den ersten Stein."

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Ernst Ostertag, August 2004