1882-1972

Walther Weibel / "yx"

... und wie das Geheimnis gelüftet wurde

"yx" lebte zu einer Zeit, in der das Verstecken der eigenen Homosexualität ein absolutes Muss war, besonders wenn man Karriere machen wollte und an exponierter Stelle stand. Im Kreis zeichnete er seine Beiträge gelegentlich auch mit "X" oder "xy". Inhaltlich waren alle bedeutsam, sprachlich brillant.

Darum hätte jeder Abonnent gerne gewusst, wer sich hinter diesen Kürzeln verbarg. Doch das blieb eines der strengst gehüteten Geheimnisse der drei Kreis-Redaktoren. Niemand kam dahinter. Kaum einer wusste auch um den ganz kleinen Zirkel von langjährigen Abonnenten und damit "Wissenden" (wie beispielsweise Anna Vock / Mammina). Auch sie blieben verdeckt. Erst ab 1999 begann der Prozess einer langsamen Klärung, 32 Jahre nach Auflösung der Zeitschrift und ihrer Organisation.

Am 25. Jubiläum des KREIS, Oktober 1957, stellte Karl Meier / Rolf den "ältesten Abonnenten" vor und überliess ihm dann das Rednerpult. Für einige unter uns war rasch klar, dieser Mann konnte nur "yx" sein. Aber wie hiess er richtig, wo gab es mehr über ihn zu erfahren? 1882 war sein Geburtsjahr. Das konnten wir uns ausrechnen, weil er sich als dreimal so alt wie der KREIS bezeichnete.

In Bibliotheken fanden sich Hinweise auf einen 1882 geborenen Ausland-Reporter und Redaktor der NZZ, Dr. Walther Weibel. Sie warfen ein Licht auf seine Tätigkeiten und auf ein anderes Pseudonym, nicht "yx". Offenbar gebrauchte er dieses andere Pseudonym als Künstlername; es hiess Hector G. Preconi.

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Nach der Pensionierung zog sich Redaktor Walther Weibel 1944 in sein Haus bei Ascona zurück. Dort begann er einige Jahre später mit der Übersetzung des umfangreichen Memoiren-Werks zum Zweiten Weltkrieg, das der britische Prime-Minister Sir Winston Churchill verfasst hatte und für welches er 1953 den Literatur-Nobelpreis erhielt. Unter H. G. Preconi liess Weibel einen Vorabdruck in vielen Folgen in der NZZ erscheinen. Zuvor hatte er Reden von Churchill für den Europa Verlag von Emil Oprecht übersetzt, wo sie 1946 erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Oprecht war mit dem KREIS verbunden.

Ab 2005 befasste sich der Forscher in Schwulengeschichte, Beat Frischknecht, mit dem Nachlass Walther Weibel in der Luzerner Zentralbibliothek. Er fand dort u.a. das Gästebuch, welches ab 1931 in Weibels Zürcher Wohnsitz geführt wurde. Darin stehen Namen und Bemerkungen, die eindeutig auf nahe Verbindungen zu Homosexuellen-Organisationen hinweisen, sowohl zum Wissenschaftlich-humanitären Komitee in Berlin wie auch zum KREIS.

Als Ende 1999 der Nachlass des Redaktors und Verantwortlichen für den französischen Teil des Kreis, Eugen Laubacher / Charles Welti, zum Vorschein kam und geordnet wurde, fand sich eine Fotografie vom Jubiläumsfest von 1957. Sie zeigte Karl Meier / Rolf mit einem älteren Herrn, der nur "yx" sein konnte. 2005 gelang die Enttarnung und eindeutige Identifizierung: Dieser Mann war tatsächlich Dr. Walther Weibel.

Ernst Ostertag, November 2012, November 2023