Travestie
... die glänzenden 50er Jahre
Die ganz grosse Travestie war besonders in den späteren 50er Jahren ein Höhepunkt, auf den jeder gespannt wartete. Meist weit nach 22 Uhr spielte das Orchester einen Tusch und der Vorhang zur Bühne öffnete sich für die Superdivas.
Einmal brachte ein Couturier aus Mailand seine männlichen Modelle und bot eine hoch elegante Kostümshow, die dem Zauber gewisser Pariser Bühnen durchaus ebenbürtig sein mochte.
Auch der Zürcher Modeschöpfer Antoine präsentierte den einen oder anderen Schönling in Abendtoiletten seiner Kollektion. Pomp und Gloria war das Motto - und tatsächlich nannte sich einer der regelmässig mit neuer, meist selbst gefertigter Kreation auftretenden - und eindeutig besten - Transvestiten "Gloria".
Zu Meister Antoine eine amüsante Episode: Er hatte seinen Liebling René Weber in eine weisse, echt kaiserliche Rokokorobe gekleidet. Das Kostüm war so voluminös, dass es per Kleinlaster mit Ladebrücke zur "Eintracht" geliefert werden musste. Zudem hatte Antoine unter den vielen Spitzen elektrische Lämpchen anbringen lassen. Im Saal erloschen die Lichter, mit Musik öffnete sich der Vorhang - und es strahlte die Märchenpracht. Dann gingen die Scheinwerfer an. Madame, die ganze Bühne füllend, eine perfekte Inszenierung.
Doch plötzlich ein Knall, René sank zu Boden und verschwand in Wolken von Tüll und Spitze. Vorhang zu. Stille. Es kam die Ambulanz und brachte das bewusstlose Modell samt Perücke und Unterröcken ins Spital - natürlich in die Frauenabteilung. Bald wurde jedoch das wahre Geschlecht erkannt und René umgebettet. Zum Glück trug er keinen Schaden davon.
Tüll isoliert und synthetisches Material war in der Haute-Couture verpönt. Am Morgen konnte René entlassen werden. Doch die Geschichte gelangte in die Zeitungen und wurde zum Fastnachtsspass.
Ernst Ostertag, Mai 2005