Opfer und Mitläufer

Homosexuelle auf beiden Seiten

Einen ersten Versuch, Licht in eine verdrängte (und oft verdrehte) Tatsache zu bringen, machte Karl Meier / Rolf aufgrund einer Zeitungsnachricht im Januar-Heft1. Er zeigte Vorstellungen im Denken jener Homosexuellen auf, die Mitläufer der Diktatur waren und wies auf deren falsche Illusionen hin.

Die Zeitungsmeldung, "Aus einem Kriegsverbrecherprozess in Lüneburg", erwähnte, dass der Zeuge, Hauptmann Derrick Sington, mit den Spitzen britischer Fallschirmtruppen im Lager Belsen eingetroffen sei und dort den Angeklagten Kramer (SS-Offizier) gesprochen habe.

"Ich fragte Kramer, was für eine Art Gefangene sich im Lager befänden und er antwortete: 'Gewohnheitsverbrecher, Schurken und Homosexuelle.' Er erwähnte die politischen Gefangenen nicht, bis ich ihn direkt fragte."

Rolf kommentierte:

"Diese kurze Nachricht aus der Basler Nationalzeitung vom 20.9.1945 spricht Bände. Dem Irrwahn der Nazis erlagen viele Millionen aller Berufe und Volksschichten der 'Normalsexuellen', aber auch viele zum gleichen Geschlecht Neigende. Trotz der öffentlichen Ächtung seit der Röhm-Affäre sahen eben doch viele in den Waffenbünden und Ordensburgen eine noch nie gebotene Möglichkeit, ständig im Kreis von Kameraden zu leben. Ihre Neigung wurde toleriert, solange sie zur nationalsozialistischen Weltanschauung standen. Im Augenblick einer ernsthaften Kritik, einer Ablehnung barbarischer Methoden dem Andersdenkenden gegenüber, wartete die Auspeitschung, die Kastration und die Gaskammer. Vergessen wir nie, dass einer politischen Gesinnung nicht deshalb zum Durchbruch verholfen werden darf, weil sie unseren Neigungen (scheinbar) entgegenkommt."

Ernst Ostertag, November 2004

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 1/1946, Seite 20