ab 1957

England

Langsames Umdenken durch den Griffin- und Wolfenden-Report

1954 fand in England ein Prozess statt, wobei die Anklage auf "unnatural relations" unter erwachsenen, also über 20jährigen Männern lautete. Im damaligen England ein fast alltäglicher Vorgang. Und jedesmal wurden Existenzen ruiniert, Menschenleben massiv geschädigt.

Doch diesen Prozess machten die Medien zur Staatsaffäre. Schliesslich war einer der Angeklagten ein angesehener Lord aus alter Famillie und ein Mitglied des Oberhauses. So kam ein Stein ins Rollen. Ein anderer Angeklagter schrieb im Gefängis ein Buch über den Prozess und gab ihm den Titel "Vor dem Gesetz geächtet". Es war sofort ein Bestseller und fand in Übersetzungen auch viele Leser ausserhalb des anglo-amerikanischen Raumes.

Nun erfolgten, angeregt durch den Kinsey-Report, zwei Untersuchungen zur Frage, ob sich in Grossbritannien analoge wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben würden wie sie Kinsey für die USA eruiert hatte. Diese Projekte mit dem Namen Griffin-Report und Wolfenden-Report führten auch zu Erhebungen und Publikationen durch Betroffene selber. Dies mit dem Ziel, ihr persönliches Befinden und ihre Situation in der allgemeinen Gesellschaft nicht nur zu dokumentieren, sondern auch der Öffentlichkeit bekannt zu geben.

Im Kreis publizierten die drei Redaktoren von Anfang an Berichte und Kommentare zu den Vorgängen in England. Dies in allen drei Sprachen der Zeitschrift. So waren die Leser gut orientiert über das, was vorging und wie in England auf das Geschehen reagiert wurde, aber auch darüber, welche Reaktionen das Ganze in Frankreich und Deutschland auslöste.

Über seine eigenen Stellungnahmen im Heft machte der KREIS noch etwas Zusätzliches: Auf Ersuchen von Gordon Westwood vom British Social Biology Council organisierte er eine Abonnenten-Befragung darüber, wie jeder persönlich innerhalb von Gesellschaft und Gesetz lebt und was seine Erfahrungen sind. So konnten die britischen Ergebnisse ergänzt und den Antworten aus einem Staat mit freierem Gesetz gegenübergestellt werden.

Die beiden Untersuchungen, Griffin- und Wolfenden-Report kamen 1957 zu analogen Ergebnissen wie der Kinsey-Report 1948. Das führte zu offenen Diskussionen und 1958 zu einer Debatte und Abstimmung im Unterhaus. Sie endete negativ. Dennoch: Neun Jahre später fiel das Gesetz, zwei Jahre vor der BRD (Bundesrepublik Deutschland, West) und 15 Jahre vor Frankreich.

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Ernst Ostertag, November 2010