1956

Kinsey's Tod

… was nicht sein darf, kann nicht sein

Zweieinhalb Monate nach Kinseys Tod 1956 brachte der Kreis1 einen ersten kurzen Nachruf von Karl Meier / Rolf, worin er die Auswirkungen dieses Lebenswerkes mit jenen ebenso bahnbrechenden Werken von Magnus Hirschfeld auf eine Stufe stellte und fortfuhr:

"Der Tod dieses Wissenschafters ist umso beklagenswerter, weil er gerade an dem Band arbeitete, der den krönenden Abschluss der beiden vorhergehenden bilden sollte: die seelischen Hintergründe, die bei Mann und Frau gleichgeschlechtliches Verhalten bedingen und auslösen. [...] Er wusste sehr wohl, dass nur die Blosslegung sexueller Handlungen nicht das Endziel einer exakten Wissenschaft sein darf."

Rolf schloss mit der Hoffnung, dass der sich um Kinsey gebildeten Forschergruppe

"von den immer lauernden Mächten der scheinheiligen Konvention nicht die Möglichkeit genommen werden kann, das für menschlichere Gesetze so notwendige Werk des grossen Mannes weiterzuführen."

Es waren aber, was Rolf damals nicht wissen konnte, genau solche verleumderische Einwirkungen aus diesen Kreisen, die zum frühen Herztod des 62-jährigen beigetragen hatten. Und dass sie immer noch im selben Sinn aktiv sind, bewiesen die Hasstiraden und Boykottaufrufe der neu erstarkten, von Grund auf bigotten evangelikal-puritanischen US-Organisationen 2005, als sie gegen den Film "Kinsey" loszogen.

Im englischen Teil der Oktobernummer 1956 veröffentlichte Rudolf Jung / Rudolf Burkhardt einen ausführlichen Lebenslauf und Nachruf unter dem Titel "In Memoriam Dr. Alfred Kinsey"2.

1967, im letzten Kreis-Heft, wurde, der damaligen Stimmung entsprechend, Kinsey als Märtyrer der Sache in Erinnerung gerufen: "Dem Andenken eines grossen Mannes" von Dr. Herbert Lewandowski3:

"Kinsey war für das puritanische Nord-Amerika ein Mann, der einen 'Schock' verursachte - doch die Sensation, welche er eine kurze Zeit hervorrief, musste er teuer bezahlen. [...] Während der Forscher mit neuem Mut an die Vorbereitung des II. Bandes über die Frauen heranging, setzte eine heimtückische Pressehetze gegen ihn ein, die vor keinen Verleumdungen zurückschreckte. [...] Bis zur Veröffentlichung über das sexuelle Verhalten der amerikanischen Frau hatte Kinsey für sein Institut einen jährlichen Zuschuss von 100'000 Dollar von der Rockefeller-Stiftung bezogen. Im Jahre 1954 [nachdem dieser zweite Band erschienen war] erhielt nun Kinsey die Mitteilung, dass ihm dieser Beitrag gestrichen sei. Bald erfuhr er, dass gewisse religiöse Gruppen auch auf die ihm noch verbliebenen Helfer Druck ausübten. [...] In aller Stille sollte er von der puritanischen Welt 'knock out geschlagen' werden. [...]"

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Ernst Ostertag, März 2005

Quellenverweise
1

Der Kreis: Nr. 9/1956, Seite 13

2

Rudolf unter dem Pseudonym L.A.: Der Kreis: Nr. 10/1956, Seite 30 bis 33

3

Der Kreis: Nr. 12/1967, Seite 13