1955-1995

Österreich

"Armes, be­kla­gens­wer­tes Öster­reich"

Ein hoff­nungs­lo­ses Sor­gen­kind war und blieb für sehr lange Zeit die Republik Öster­reich. Im März 1955 schrieb der Emigrant und Mit­ar­bei­ter des Kreis, Erich Lifka, "Zur Si­tua­ti­on der ho­mo­phi­len Mi­no­ri­tät in Öster­reich". Um weiterer Ver­fol­gung in Wien zu entgehen, lebte er vor­über­ge­hend in der Stadt Zürich.

Am 15. Mai des­sel­ben Jahres gelang mit dem Staats­ver­trag das Ende der Nach­kriegs-Be­sat­zung durch die vier Sie­ger­mäch­te und die Wie­der­ver­ei­ni­gung aller ös­ter­rei­chi­schen Länder zur neu­tra­len "Zweiten Öster­rei­chi­schen Republik". Damit bestand rein theo­re­tisch auch die Chance zu einem auf­ge­schlos­se­nen Straf­ge­setz, wie es sich die "ho­mo­phi­le Min­der­heit" und viele fort­schritt­lich gesinnte Menschen er­hoff­ten. Doch die Chance wurde vertan und jede Hoffnung jahr­zehn­te­lang nie­der­ge­knüp­pelt. Erst 1995 zwang die EU ihr Mitglied Öster­reich, dass es we­nigs­tens Lo­cke­run­gen ein­führ­te.

1956 kam es in Feld­kirch zu einem Prozess gegen rund 120 Menschen, die, hätten sie auf der Schwei­zer Seite des Rheins gelebt, niemals vor Gericht gezogen worden wären. Der KREIS fi­nan­zier­te eine Auf­klä­rungs­schrift, die auf dieses Ver­fah­ren hin ver­öf­fent­licht und den Richtern zu­ge­spielt wurde. Es gab "milde" Urteile und in Kom­men­ta­ren sass eher das herr­schen­de Straf­recht auf der An­kla­ge­bank. Trotzdem, noch im letzten Jahrgang des Kreis, 1967, musste ein La­ge­be­richt den Titel tragen "Armes, be­kla­gens­wer­tes Öster­reich".

Ernst Ostertag, November 2010