Weitere Wissenschafter
Die drei Redaktoren des Kreis haben vielerlei Verbindungen zu schweizerischen Wissenschaftern und solchen in der ganzen Welt aufgenommen. Primäres Ziel war ein stärkeres Bewusstsein der homosexuellen Thematik bei den Kreis-Abonnenten. Ziel war aber auch, Erfahrungen mit der liberalen Schweizer Gesetzgebung in die Welt hinaus zu tragen.
Durch diese Kontakte wurden vielfache Erkenntnisse ausgetauscht und man befruchtete sich gegenseitig auf ideellen Ebenen. So konnte man Veränderungen der Lebenssituation im kleinen Kreis der Schweizer Abonnenten bewirken und gab Anstösse zu Veränderungen im Ausland.
Es entstanden die theoretischen Voraussetzungen für das Coming-out der Schwulenbewegungen nach 1968.
Es müssten noch viele Wissenschafter erwähnt werden, mit denen der KREIS Verbindung aufgenommen hatte und deren Schriften oder Stimme in der Zeitschrift ein Echo fanden. Dazu kommen auch jene, die Vorträge an den KREIS-Treffen hielten und Fragen von Abonnenten und Gästen beantworteten.
Zwei besondere Wissenschafter seien hier angefügt:
Rudolf Klimmer (1905-1977)
Seit 1949 stand Karl Meier / Rolf in regelmässigem Kontakt mit dem Dresdener Arzt Rudolf Klimmer, der sich sehr für eine Liberalisierung des Strafrechts der DDR einsetzte. Der Kreis veröffentlichte mehrere Artikel von ihm, erstmals in Nummer 11/1948.
Das 1958 beim Verlag für kriminalistische Fachliteratur, Hamburg, erschienene Buch von Rudolf Klimmer, "Die Homosexualität als biologisch-soziologische Zeitfrage", wurde im Kreis besprochen und mehrfach erwähnt. Abonnenten konnten es an den Mittwochtreffs beziehen oder über das Postfach des KREIS bestellen.
Der KREIS belieferte Klimmer gratis mit der Zeitschrift bis 1956, als die Zensur- und Zollbehörden der DDR das Heft indizierten. Von nun an übernahm die süddeutsche "Kameradschaft die runde" die Lieferungen an Klimmer und andere Abonnenten in der DDR via private Kanäle, wie sie es bereits seit 1953 in bewährter Weise für die BRD tat.
Heinrich Hanselmann (1885-1960)
Weit über die Landesgrenzen hinaus war dieser grosse Menschenfreund und schweizerische Pionier der Heilpädagogik bekannt.
Mutig hatte er in der Illustrierten Sie und Er öffentlich Stellung genommen für einen jungen homosexuellen Akademiker, der in den Bergen "freiwillig abgestürzt" sei, dies unter dem Titel "Ehrenrettung".
Der spätere Rechtsvertreter des KREIS, Dr. Erich Krafft, betätigte sich als Anwalt im Prozess gegen einen Homosexuellen in der Innerschweiz, in dessen Verlauf das Gericht den Kreis öffentlich als eine zu verbietende unsittliche Zeitschrift bezeichnete. Darauf schrieb Prof. Hanselmann einen Brief an Dr. Krafft, in dem er klar gegen diese Verleumdung Stellung bezog und ihn ermächtigte, das Schreiben dem Gericht vorzulegen1. Aus Hanselmanns Brief:
"Seit mehreren Jahren wird mir Der Kreis im Freiabonnement zugestellt [...]. Ich selbst bin nicht homosexuell [...], habe aber als Ehe- und Erziehungsberater in [...] vierzigjähriger Tätigkeit [...] mit der geradezu tragischen Problematik homosexueller Menschen beider Geschlechter, Jugendlicher und Erwachsener aus allen Gesellschaftsschichten, häufig zu tun gehabt, vor allem auch als Leiter von Erziehungsanstalten und als psychologischer Gutachter im Militärdienst."
Darauf folgte eine detaillierte Begutachtung von Inhalt, Illustrationen und Intentionen des Kreis. Am Schluss stellte Hanselmann fest,
"dass ich für meine Beratungstätigkeit bei jugendlichen und erwachsenen Homosexuellen aus der Zeitschrift Der Kreis in all den Jahren sehr viel wertvolle psychologische Aufklärung und pädagogische Anregung erfahren habe und der sachkundigen und mutigen Redaktion dafür sehr dankbar bin; ich bewundere deren [...] moralischen Hochstand in einem Kampfe, den ich nicht anders als tragisch bezeichnen kann."
In der Jubiläums- und Weihnachtsnummer von 1952 erschien dieser Brief2. Und die Ausgabe zum nächsten Jubiläum, dem 25. von 19573, brachte ein Gratulationsschreiben von Heinrich Hanselmann. Mit einem Bild Hanselmanns wurde drei Jahre später im Kreis4 das Gratulationsschreiben noch einmal publiziert, zusammen mit dem von Karl Meier / Rolf verfassten Nachruf: "Zum Hinschied von Prof. Heinrich Hanselmann am 29. Februar 1960", der mit seiner
"Forderung zum Mut der eigenen Verantwortung und Befreiung vom 'Ungeheuer Ich' Richtlinien setzte, die gerade auch der Homoerot nie vergessen sollte."
Thomas Voelkin, Mai 2009 und Ernst Ostertag, November 2010
Weiterführende Links intern
Quellenverweise
- 1
Heinrich Hanselmann, Brief datiert vom 29. Oktober 1952 an den KREIS, aus dem Nachlass Eugen Laubacher / Charles Welti, jetzt im sas
- 2
Der Kreis: Nr. 12/1952, Seite 4, Brief von Heinrich Hanselmann, unbedeutend gekürzt. 1952 feierte man das 20-jährige Jubiläum des Kreis
- 3
Der Kreis: Nr. 9/1957, Seite 22
- 4
Der Kreis: Nr. 4/1960, Seite 15