1960

Razzien und Folgen: Handlungsdruck

... auf Behörden und Polizei

Mit dem Rinaldi-Prozess, als der Mörder eines Homosexuellen sozusagen freigesprochen wurde, entstand durch das Urteil und die einseitige Berichterstattung eine homophobe Grundstimmung. Sie konzentrierte sich vorerst auf Zürich, bald aber drang sie auch in Basel und Bern durch. Aus der ganzen Schweiz und sogar von jenseits der Grenzen sah man auf Zürich als Hort einer Szene, die Schande war für Stadt und Nation. Eindeutiges Reagieren, das forderten und erwarteten nun viele. Der Druck auf Behörden und vor allem auf die Polizei war gross und wuchs kontinuierlich.

Andererseits galt Zürich als tolerante Stadt mit freiheitlicher Tradition, was ihre Geschichte immer wieder bewiesen hatte. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die Polizei sichtbar und demonstrativ zu agieren begann. Vorerst hielt man sich an den Ausbau der Homoregister und an vermehrte Kontrollen, um das Stricherwesen einzudämmen. Ab 1960 wurde aber massiv zugeschlagen. Zugleich war eine Boulevardpresse entstanden, die auf Seriosität verzichtete und jedes Geschehen zur Sensation hochkochte.

Ernst Ostertag, Oktober 2005