Andere Berichte

…oder Legenden

Von diesem Vorfall gibt es, wohl je nach Standort und schwulenpolitischem oder anderem Hintergrund der Augenzeugen, recht unterschiedliche Darstellungen. Eine davon besagt, dass Polizeikräfte die Bar überfielen und alle der rund 200 Besucher kontrollierten, worauf sie einzelne der sich wehrenden Leute nach draussen zerrten und in Mannschaftswagen schoben oder schieben wollten.

In der von homosexuellen Männern und Frauen belebten Strasse sei es sofort zu heftigen Reaktionen gekommen: ein rasches Zusammenrotten, ein Pfeifkonzert, Rufe wie "Bullen raus! Befreit die Gefangenen!" Als Steine gegen die Wagen geworfen und versucht wurde, sie umzukippen, sei ein Teil der Uniformierten davongefahren, andere hätten Verstärkung angefordert und sich in der nun leeren STONEWALL-Bar verschanzt. Ein Reporter der Lokalzeitung Village Voice, der ebenfalls drinnen eingeschlossen war, berichtete später, die Leute hätten eine Parkuhr ausgerissen und sie als Rammbock benutzt:

"Jetzt ist die Eingangstür vollkommen offen. Gleichzeitig fällt mit lautem Getöse eines der Sperrholzfenster runter und es scheint unvermeidlich, dass die Menge reinströmt. Alle Polizisten ziehen ihre Pistolen. Sie zielen auf die Tür. Ich höre, wie jemand sagt: 'Wir knallen den ersten motherfucker [Mutterficker, vulgäres Schimpfwort] ab, der durch die Tür kommt.' Von draussen wird unterdessen durch ein eingeschlagenes Fenster Benzin in das Lokal gegossen und angezündet [...]. Sirenen heulen auf, Polizeiverstärkung naht. Mit Gummiknüppeln schlagen sie auf die Menge ein, die abgedrängt wird und sich schliesslich auflöst."1

Eine selbstironische Version oder Legende wurde auf einem Flyer zum "Festival 25 Jahre Stonewall im Mai, Juni, Juli 1994 in Zürich, der Zwinglistadt an der Limmat" herumgereicht. Sie mag das italienische Sprichwort bestätigen "Se non e vero, e bon trovato" (wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden) und sei vor allem wiedergegeben, weil sie die Rolle der Tunten und Transvestiten reflektiert:

"Am 24. Juni 1969 starb die amerikanische Sängerin und Schauspielerin Judy Garland. Sie wurde von vielen homosexuellen Männern verehrt. Nach ihrem Tod sitzen nun alle Tunten mit feuchten Nastüchern in der Bar STONEWALL, betupfen sich ihre tränenbenetzten Wangen mit Champagner, seufzen tief und herzzerreissend. Ab und zu fahren sie nervös über den Rücken ihrer cremefarbenen Handtäschchen und bringen kein Wort heraus. Die Türe wird aufgestossen. Polizisten mit Schlagstöcken stürzen die dunkle Kellertreppe hinunter. Welch ein Durcheinander, was für ein Aufruhr! In dem Gemenge von scharfen Ordnungshütern und aufgebrachten Besucher-innen schlagen letztere energisch mit ihren Handtaschen, ledernen Handschuhen und spitzen Absätzen auf die johlenden Polizisten ein und kreischen immer wieder: das lassen wir uns nicht bieten; wir lassen uns im Schmerz um Judy Garland nicht stören!"

Eine weitere Version findet sich in der Zeitschrift aK, zusammengestellt von Tom Hofmänner.2

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Ernst Ostertag, Oktober 2006

Quellenverweise
1

Elmar Kraushaar, Hundert Jahre schwul, eine Revue, Seite 12,7 Rowohlt, Berlin 1997

2

aK (anderschume/Kontiki), Nr. 3/1994 und 4/1994