1942-1982
Romandie, erste Gruppen
Die Reformation unter Calvin und seinen Mitreformatoren im französisch sprechenden Raum brachte keinerlei Änderung, was "Unzucht wider die Natur" betraf. Im Gegenteil: Ausgrenzungen jener Menschen, die "Sündiges" und "Schändliches" taten, wurden gemäss allgemein strafferem Sittenkodex intensiviert. Man bekämpfte die römische Papstkirche ja auch wegen Sittenlosigkeit inklusive "sodomitischen Praktiken".
Das wirkte nach bis weit ins 20. Jahrhundert hinein und ist zum Teil bis heute spürbar. Eine geschlossene Verbindung mit eigener Zeitschrift wie der KREIS in Zürich hätte in keiner Stadt der Romandie bestehen können. Das KREIS-Grüppchen "Cercle de Bienne" existierte von 1942-1948 und "Cercle de Lausanne" gab es 1944 nur sechs Monate lang.
Ein ausgeprägtes Denken gemäss Sittenkodex und Ausgrenzung der dagegen Verstossenden prägte die Geschichte der Westschweizer Homosexuellen weiter, auch nach den 70er Jahren. Einige Beispiele:
- Kampf der Genfer Schwulen gegen Willkür ihrer Polizeibehörden ab 1979
- Ablehnende wie aufrüttelnde Reaktionen zu einer Sendung von Télévision Suisse romande mit homoerotischer Sequenz, 1980
- Destruktive Taktik der Lausanner Behörden zum Verhindern des CSD 1981
- Sture Behinderungsversuche von Aids-Prävention und Aids-Hilfe in den 80er Jahren
- Verbot von Segnungsfeiern in reformierten Kirchen der Waadt (VD) 2007
- Volksabstimmung zum Partnerschaftsgesetz 2005: Weniger JA-Stimmen in der Romandie als in der Deutschschweiz
- Umfrage zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare 2010: deutlich tiefere Zustimmung in der Romandie als in der Deutschschweiz
Der Anstoss zur Schwulen-Befreiung in der Romandie kommt von aussen, von der radikal gesellschaftskritischen, revolutionären Szene in Paris 1971. In Genf entsteht eine erste aktive Zelle, später auch in Lausanne.
Rasch wachsen dezidiert befreiungspolitische Gruppen heran, ähnlich den Homosexuellen Arbeitsgruppen (HA) in der deutschsprachigen Schweiz. 1978 schliessen sie sich der Dachorganisation Homosexuelle Arbeitsgruppen Schweiz (HACH) an. Diese ergänzt nun ihren Namen mit Coordination Homosexuelle Suisse (CHOSE).
Ernst Ostertag, Juni 2011