1974

Boldern-Bericht

… zur 1. Tagung mit Einladung zur 2. Tagung

Im Boldern-Bericht 25 vom März 1974 schrieb Else Kähler sozusagen abschliessend über die Tagung:1 

"Es war ein Wagnis, eine solche Tagung zu veranstalten. Es hat auch an einigen bösen - leider anonymen - Briefen nicht gefehlt. [...] Siegfrid Meurer plädiert:

'Das erste und wichtigste ist die Aufklärung, um die Vorurteile gegenüber dem Homosexuellen abzubauen. Hier hat die christliche Kirche eine besondere Verpflichtung, weil die Vorurteile in ihr besonders tief verwurzelt sind, was mit ihrer Tradition zusammenhängt. Es müsste in der Zukunft allgemein angesprochen und dem Menschen nahe gebracht werden, dass es unverschuldete Homosexualität gibt, die, sofern sie unkorrigierbar ist, akzeptiert werden muss. Es muss geholfen werden, dass Menschen die Ursache und Entstehung so genannter sozialpsychologischer Homosexualität verstehen [...]'

[...] Wir haben die Tagung ausgeschrieben als eine 'Informationstagung für Interessierte und Betroffene'. Was heisst das, wenn mehr als zwei Drittel Homosexuelle (sehr viel mehr Männer als Frauen) und knapp ein Drittel Heterosexuelle gekommen sind? Die Homosexuellen hatten auf eine grössere Anzahl Heterosexueller als Gesprächspartner gehofft. Von der ganzen Tagung, die 120 Teilnehmer hatte, ist zu sagen, dass sie äusserst diszipliniert verlief. In den Gruppenarbeiten wurde intensiv, engagiert, wenn auch nicht ohne Härte diskutiert. [...] Die Tagung hatte zudem zwei bemerkenswerte Referate [...].

[...] Van de Spijker [der zweite Referent] plädierte für eine sachliche öffentliche Diskussion des Problems.

Der Evangelische Pressedienst schliesst seinen Bericht über die Tagung mit folgenden Bemerkungen:

'In den Gruppengesprächen wurden die Belastungen, denen homosexuelle Menschen ausgesetzt sind, deutlich sichtbar. Die Homosexuellen wehren sich dagegen, dass man sie oft als latent krank oder kriminell hinstellt und von ihnen eine Umpolung zur Heterosexualität und nicht eine Selbstfindung in ihrer Homosexualität verlangt. Auf allen Ebenen und in allen Gremien, wo Fragen der Homosexualität diskutiert werden, sollten die Direktbetroffenen mit einbezogen werden.'

Aufgrund der 60 überzähligen Anmeldungen wird die Tagung am Freitag/Samstag, 22./23. März 1974 wiederholt."

Der zweite Abschnitt (oben) stammt aus einem Aufsatz von Siegfrid Meurer: "Das Problem der Homosexualität in theologischer Sicht". Und genau diese selben Sätze zitierte Else Kähler erneut in der Einladung zur zweiten Boldern-Tagung - trotz heftigem Protest der HAZ (Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich). Offenbar teilte sie die Ansicht Siegfrid Meurers und hielt ein solches Statement wohlmeinend als fortschrittlich.

Die Reaktion der HAZ (auf die Einladung zu Boldern 2) war denn auch entsprechend scharf, denn es kann weder "unverschuldete" (und daher zu akzeptierende) noch "verschuldete" Homosexualität geben. Zu akzeptieren ist einzig, dass die Natur Homosexuelle (Menschen wie Tiere) hervorbringt.

Nach oben

Ernst Ostertag, November 2006

Quellenverweise
1

Boldern-Bericht 25, März 1974, Seiten 6 und 7