1974
Presse-Reaktionen
Aufschluss zur Tagung
Es gab recht viele Presse-Reaktionen. Von Berichten in Tageszeitungen seien hier drei ausgewählt:
Die Thurgauer Zeitung schrieb unter dem Titel
"Die Homosexualität kommt ins Gespräch, Eine Tagung im Studienzentrum Boldern":1
"[...] Unter den Tagungsteilnehmern befanden sich vor allem vom Problem direkt betroffene Personen, die HAZ [Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich], HASG [Homosexuelle Arbeitsgruppen St.Gallen] und HABS [Homosexuelle Arbeitsgruppen Basel], die SOH [Schweizerische Organisation der Homophilen] Zürich und Basel sowie - in einer relativ kleinen Anzahl vertreten - Heterosexuelle [...]. Nach weiteren Diskussionen wurde am Sonntagnachmittag eine Resolution gefasst, die an die katholischen, reformierten und christkatholischen Kirchen der Schweiz gerichtet wird. In der Resolution wird Kenntnis vom Beschluss der Synode genommen, wonach pastorale Richtlinien [...] auszuarbeiten sind. Die Tagung wünscht, dass die direkt Betroffenen bei der Ausarbeitung solcher Richtlinien zur Mitarbeit herangezogen werden."
Die Freiburger Nachrichten nahmen das Tagungsthema zur Überschrift "Die Probleme der Homosexualität":2
"Am vergangenen Wochenende fand [...] - auf Initiative heterosexueller Kreise - die erste Tagung in der Schweiz statt, die den Problemen der homosexuellen Minderheit gewidmet war. [...] Eine von zwei Pfarrherren zusammengestellte Tonbildschau, die einmal zu Aufklärungszwecken hätte dienen sollen, gab von Seiten der Homosexuellen zu lautem Protest Anlass. Im Besonderen wurde erläutert, die Tonbildschau, die zwar von grossem Einfühlungsvermögen zeuge, erwecke im unvoreingenommenen Betrachter den Eindruck, dass Homosexuelle immer aus problematischen Familienverhältnissen stammten. Am Sonntag erklärte Dr. Joseph Duss-von Werdt [...], was die Synode 72 der katholischen Kirchen der Schweiz zum Problem der Homosexuellen erarbeitet hat. Dabei war deutlich zu spüren, dass [...] immer noch vom Standpunkt ausgegangen wird, dass Homosexualität etwas Abnormes, Krankhaftes ist. [...]"
In der National-Zeitung, Basel, setzte Eva Caflisch den Titel "Toleranz für Schwule":3
"[...] Weniger eine 'Informationstagung für Interessierte und Betroffene' als vielmehr eine zweitägige fruchtbare Auseinandersetzung homosexueller Frauen und Männer war es, denn über drei Viertel der Interessierten waren Betroffene. [...]
Vorurteile der anwesenden Heterosexuellen gab es kaum auszuräumen, wohl aber die der Abwesenden festzustellen. [...] Nachweisen lässt sich dies zum Beispiel anhand der Polizeiberichterstattung in der Presse, wo nur zu oft das homosexuelle Opfer zum Verbrecher wird, wie in einem Gruppengespräch mit einem Vertreter der Zürcher Polizeibehörde festgestellt wurde. Auch ein Tonbild - zusammengestellt von zwei Baselbieter Pfarrern - bot Ansatzpunkte zur Kritik, [...] denn die Hauptfiguren - ein hübscher femininer junger Mann, eine alternde männliche Frau - entsprachen haargenau dem Cliché: 'So ist es ja gar nicht!', dies der Kommentar mehrerer Tagungsteilnehmer, die grösstenteils überhaupt nicht in das Tonbildschau-Cliché passten.
Diskutiert wurde nicht die Ursache der Homosexualität, denn das wäre angesichts des Streites der Wissenschaft uferlos; diskutiert wurden vielmehr die Probleme der Homosexuellen, die als Minderheit, welche die Norm in Frage stellten, angegriffen werden; diskutiert wurden auch die Kontaktprobleme (im Milieu ist es schwierig, anderes zu finden als Sex und ausserhalb desselben dürfen sich Homosexuelle nicht zu ihrer Neigung bekennen).
Hauptsächlich individuelle Hilfe hat bisher die SOH [Schweizerische Organisation der Homophilen] geleistet, den politisch-emanzipatorischen Kampf zu führen versuchten die Homosexuellen Arbeitsgruppen4. Die Tagung brachte als Resultat erstmals die Bereitschaft der beiden Organisationen zusammenzuarbeiten. Zusammenarbeiten will man aber auch mit den Frauengruppen, die für die Emanzipation kämpfen, denn Homosexuelle wie Frauen sind in einer männlich-heterosexuell geprägten Gesellschaft Unterprivilegierte mit verwandter Problematik.
Der zweite Tagungsteil war der Haltung der Kirche gegenüber der Homosexualität gewidmet. [...] Aufhänger dafür war das Papier zur Homosexualität der Synode 72. Darin zeigt sich weitgehende Toleranz und grosses Verständnis der katholischen Kirche für die Homosexualität, obwohl die alten Vorurteile der Krankheit und der Kriminalität nicht ganz ausgeräumt sind."
Ernst Ostertag, November 2006
Quellenverweise
- 1
HAZinfo, Nr. 9/1974, Seite 17: Nachdruck aus der Thurgauer Zeitung vom Mittwoch, 30. Januar 1974
- 2
Freiburger Nachrichten, (Schweiz), Freitag 1. Februar 1974, Seite 3
- 3
HAZinfo, Nr. 9/1974, Seite 19, Nachdruck aus der National-Zeitung, Basel, 2. Februar 1974, Eva Caflisch "Toleranz für Schwule"
Anmerkungen
- 4
diverse kantonale Homosexuelle Arbeitsgruppen, die miteinander in Kontakt standen und im Dezember 1974 die Gründung ihrer Dachorganisation HACH vornahmen