1974

Schwulen-Presse

Reaktionen im hey

Auch in der schwulen Presse gab es Reaktionen, vorab im Organ der SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen), der Zeitschrift hey. Dort verfasste Walter E. Koller einen Beitrag zur Tagung. Er bezeichnete sich eingangs als "Nichtmitglied der einen und der anderen Organisation".1 Gemeint waren SOH und HACH (Dachorganisation der Homosexuellen Arbeitsgruppen Schweiz). Darin hiess es unter anderem:

"Am Sonntag erklärte Dr. Joseph Duss-von Werdt vom Institut für Ehe- und Familienwissenschaft (!), was die Synode 72 der katholischen Kirchen der Schweiz zum Problem der Homosexualität erarbeitet hatte. Dabei spürte man zwar deutlich, dass diese Arbeitsgruppe aus ihrem Studium bereits gelernt hatte, dass aber immer noch vom festgefahrenen Standpunkt ausgegangen wird, Homosexualität sei etwas Krankes."

Dem setzte die Redaktionsgruppe des hey einen Leserbrief aus der Basler AZ gegenüber, verfasst unter dem Kürzel "-rda", vermutlich P.A. Rademakers, der als Mitglied der SOH auf Boldern dabei war.2 Seine Schlusssätze lauteten:

"Im Grunde genommen sollte man endlich aufhören, nach Ursachen zu forschen, wo es gar nichts zu erforschen gibt. Wer immerfort über dieses Problem nachgrübelt, beweist damit nur, dass er nicht fähig oder willens ist, Homosexualität als völlig adäquate, mit der Natur in Einklang stehende Erscheinung zu akzeptieren. Täte er dies, würde er sich keinen Deut um den Grund kümmern, ebenso wenig wie die Heterophilen nach dem Grund ihrer heterosexuellen Ausrichtung fragen."

Das nächste hey brachte eine Fortsetzung mit einem Leserbrief und der Stellungnahme dazu aus dem offiziellen reformierten landeskirchlichen Blatt Kirchenbote für den Kanton Zürich, März 1974. Im Leserbrief von FB. hiess es:3

"Im Tagblatt der Stadt Zürich war in dem Bericht über eine jüngst stattgefundene Boldern-Tagung unter anderem folgender schockierender Satz zu lesen: '[...] damit wurde in dieser Richtung (Beurteilung der 'homosexuellen Minderheit') ein erster Schritt getan, damit ein Homosexueller es wagen darf, zu seinem Anderssein zu stehen und nicht diskriminiert wird.'

Wir fragen: wird mit diesem verwegenen Schritt von prominenten Vertretern des christlichen Glaubens (Boldern und Paulus-Akademie) nicht der heilige Gott der Diskriminierung bezichtigt [...]? [...] Soll unser geliebtes Zürich, die Stadt Zwinglis, nicht zu einer Hochburg der Homosexuellen 'emporsinken', dann wäre eine neue Aktion 'Zürich wohin?' nicht unfehl am Platze - eingedenk des warnenden Schicksals von Sodom und Gomorra!"

Die Redaktion des Kirchenboten bat Herrn Dr. med. Th. Bovet um Stellungnahme zu diesem Leserbrief. Die Antwort des bekannten Fachmannes:

"[...] Es ist im Gegenteil verwunderlich, wie wenig im Neuen Testament von Homosexualität die Rede ist. Die beiden einzigen Stellen (1. Kor. 6,9 und 1. Tim. 1.10) wiederholen den alttestamentlichen Lasterkatalog, wobei zu bemerken ist, dass im AT die Homosexualität sehr wahrscheinlich nicht aus moralischen, sondern aus kultischen Gründen verboten war.

In meiner Praxis habe ich viel mit Homosexuellen zu tun gehabt und kann bezeugen, dass sie genau so anständige, liebevolle und opferbereite Christen sein können wie die anderen. Was ich hingegen nicht begreifen kann und was mich immer wieder empört, ist die Engherzigkeit und Lieblosigkeit sowie Starrköpfigkeit so vieler 'Normalveranlagter' gegen ihre homophilen Brüder, die es wahrhaftig nicht leicht haben. Persönlich glaube ich, dass auch unsere homophilen Brüder in Jesu Aufzählung Math. 25, 35 und 36 dazugehören."

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Ernst Ostertag, November 2006

Quellenverweise
1

hey, Nr. 3/1974, Seite 4

2

hey, Nr. 3/1974, Seite 5

3

hey, Nr. 4/1974, Seite 25, Nachdruck aus dem evangelischen Kirchenbote für den Kanton Zürich, 16. März 1974