1984

Interpellation in Bern

Reaktionen

Am 26. November 1984 richtete Nationalrat Paul Günter3 eine Interpellation4 an den Bundesrat , in welcher die Regierung aufgefordert wurde, das Parlament darüber zu informieren, welche konkreten Schritte sie angesichts von Aids unternehmen wolle. Die Interpellation enthielt einen Passus, der für Schwule unakzeptabel war. Ob der Bundesrat bereit sei, hiess es wörtlich, "eine Meldepflicht für Aids-Erkrankte zu erlassen, falls sich der heutige Trend bestätigt und die Seuche sich weiter exponentiell ausweitet und in die Normalbevölkerung einbricht".

Am selben Tag schrieb der Basler Grossrat Erwin Ott5 an Dr. Bertino Somaini vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), um zu erfahren, ob Dr. Günter seinen geplanten Vorstoss mit ihm, Dr. Somaini, besprochen habe und was die Haltung des BAG in dieser Sache sei.

Somainis Antwort vom 28. November bestätigte,

"ich habe zwar mit Nationalrat Günter über Aids kurz telefonisch diskutiert, aber bis anhin nichts Weiteres unternommen".

In seinem Schreiben führte er unter anderem aus:1

"Nun zum Meldeproblem. Es gibt dazu verschiedene rechtliche Grundlagen. Ihre Angst vor einem 'Register' kann ich verstehen - ist jedoch unbegründet. Aids wäre eine meldepflichtige Krankheit wie Tuberkulose, Typhus, Hirnhautentzündung usw. Es geht uns dabei um die Sache, weniger um die personellen Hintergründe. Eine Strategie zur Bekämpfung einer Krankheit benötigt diese Grundlage, ohne Kenntnisse der Ausbreitung einer Krankheit und der betroffenen Risikogruppen kann eine solche Krankheit nicht mehr wirkungsvoll bekämpft werden."

Vor dem 13. Dezember sandte Erwin Ott im Namen der HACH einen Brief an Nationalrat Günter. Darin bedanken sich die HACH für einen Brief, den Günter offenbar an die HACH geschrieben hatte. Dieser Brief scheint verloren zu sein. Aus dem undatierten Briefentwurf von E. Ott:2

"Sehr geehrter Herr Günter

Vielen Dank für Ihren Brief. Er und Ihre Interpellation, die wir von den Parlamentsdiensten direkt angefordert haben, haben uns an der letzten Delegiertenversammlung intensiv beschäftigt. Wir finden es gut, dass Sie unsere Bedenken ernst genommen haben, bedauern es aber, dass Sie nicht vor dem Vorstoss noch mit uns Rücksprache genommen haben.

Grundsätzlich sind wir damit einverstanden, dass etwas geschehen muss, [...].

Beim Punkt 6 sind wir aber misstrauisch [...]. Wenn Sie [...] in der Interpellation Begriffe wie 'Seuche' und 'Normalbevölkerung' verwenden, bekommen wir starke Zweifel an Ihrer Haltung. [...]

Unsere Bedenken [...] bei einer namentlichen Meldepflicht haben wir Ihnen [...] im letzten Brief dargestellt. Wir sind misstrauisch gegen alles, was im Entferntesten den Eindruck von 'Schwulenregistern' wecken könnte, zu vielfältig sind uns Repressionen daraus erwachsen.

Da der Ball nun beim Bundesrat liegt, schicken wir je eine Kopie ans EDI [Eidgenössisches Departement des Inneren] und an Herrn Somaini. Ausserdem geht eine Kopie zu Prof. Schuppli, Basel, weil wir weder auf den guten Kontakt noch auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm und seiner Poliklinik verzichten möchten."

Nach oben

Ernst Ostertag, Januar 2008

Quellenverweise
1

Kopien des Briefwechsels sind im sas

2

Das einzig erhaltene Exemplar ist undatiert und daher wohl als Entwurf gedacht

Anmerkungen
3

Dr. med., LdU, BE

4

Nr. 84, 573

5

Mitbegründer von VHELS