1988

Verständnis statt Angst

Umgang mit Aids-Kranken

Eine Dokumentation vom April 1988 trug den Titel "STOP AIDS". Darin äusserte sich unter anderen Doris Frank von der Aids-Beratungsstelle des Kantonsspitals Basel zur noch wenig bewusst gewordenen Begleitung und Betreuung von Erkrankten. "Verständnis statt Angst - vom Umgang mit Aids-Kranken" hatte sie als Titel gesetzt. Daraus einige Abschnitte:

"Angst baut eine Wand zwischen dem Aids-Kranken und seinen Mitmenschen auf, und der Aids-Kranke braucht, wie jeder schwer kranke Mensch überhaupt, Nähe. Dies habe ich von unserem ersten Aids-Patienten gelernt, mit dem ich sehr viele persönliche Gespräche führen konnte, bei dem ich viel fragen musste und bei dem ich erfahren habe, dass man auch fragen darf.

Was müssen wir - nebst den konkreten Informationen über 'was ist ansteckend und was nicht' - wissen im Umgang mit Aids-kranken Menschen? Was unterscheidet sie von anderen Kranken?

Der Aids-Kranke hat seine 'Diagnose' oft schon bei voller Gesundheit erhalten, dann nämlich, wenn er sich entschlossen hat, den HIV-Antikörper-Test zu machen und das Resultat positiv ausgefallen ist [...]. Die Ängste [...] setzen bei ihm bereits in diesem Moment ein, der eine erste Konfrontation mit dem eigenen Tod ist. [...]

Der HIV-Positive wird heute von der Gesellschaft leider noch immer diskriminiert, er muss also seine Diagnose vor den meisten Menschen verschweigen und gerät so in Isolation. Auch seine nächsten Angehörigen fühlen sich von dieser Diskriminierung betroffen, auch sie müssen ihren Schmerz oft alleine tragen und können sich nicht mitteilen.

Der Aids-Kranke hat also schon eine lange Zeit der Angst, der Verzweiflung, der Isolation hinter sich. Es ist deshalb nur verständlich, dass er sehr sensibel auf Angst und Ablehnung reagiert. Er möchte wie jeder andere Kranke behandelt werden, hat das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, nach Zuneigung, nach Verständnis, nach Ehrlichkeit. [...]

Er möchte, dass wir seine Ängste ertragen und mittragen helfen, dass wir mit ihm schweigen können, wenn er müde ist, dass wir auf seine Bedürfnisse eingehen, ihm aber nach Möglichkeit seine Selbständigkeit lassen. Er möchte, dass wir ihm Ruhe vermitteln, wenn er verzweifelt ist, dass wir mit ihm zusammen heiter sein können. Er möchte selbst wählen können, wen er in seinen letzten Tagen in seiner Nähe haben möchte - dies sind gar nicht immer seine liebsten Menschen, manchmal sind es diejenigen, die ihn am besten loslassen können.

Im Umgang mit Aids-Kranken kommt uns unsere eigene Sterblichkeit zum Bewusstsein, und wir müssen lernen, damit umzugehen, damit wir uns nicht wegen unseren eigenen Ängsten zurückziehen, wenn er von seiner Todesangst spricht. Wir müssen hellhörig sein, wenn er entsprechende Andeutungen macht, wir müssen in diesem Moment Zeit haben und behutsam auf ihn eingehen."

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Ernst Ostertag, März 2008