Das Problem
… um das es für alle Eltern geht
In Heft Schule und Elternhaus schrieb Robert G. Berger unter dem Titel "Michael ist anders"1:
"Mittagsrast am Waldrand. Thomas staut den Bach und hat bereits nasse Füsse. Michael baut aus Ästen, Moos und Rinde ein Häuschen und kommentiert laufend sein Tun. Mutter ist stolz auf ihren 'gschaffigen' Thomas und sieht ihn bereits als Gärtner. Vater lauscht schmunzelnd dem Geplapper von Michael und prophezeit ihm eine Karriere als Reporter.
Zehn Jahre später: Thomas hat regen Kontakt zu einer Clique, bringt ab und zu eine Freundin nach Hause. Michael dagegen zieht sich häufig in sein Zimmer zurück, [...]. Gesprächen weicht er aus. Die Eltern sorgen sich: Hat er Probleme in der Schule? Ersten Liebeskummer? Sind gar Drogen im Spiel? [...] Immer wieder diskutieren sie vor dem Einschlafen, wie Michael zu helfen wäre.
Und Michael? Er ist verunsichert, weil ihn die Gespräche der Kollegen über Mädchen und Petting nicht interessieren. Ihn irritiert, dass er in seinen Tagträumen lieber seinen Kollegen streicheln würde. In der Werbung klebt sein Blick an der Herrenunterwäsche. Er kommt mit seinen Gefühlen nicht klar, kann sie nicht benennen, kann sie nicht einordnen. [...] Mit den Eltern mag er nicht darüber reden. Er will nicht wahrhaben, was ihm seine Gefühle mitteilen, dass sein Puls bei Männern schneller geht. [...]
So oder ähnlich erleben viele homosexuelle Jugendliche ihre Kindheits- und Jugendjahre. [...] Typisch dabei sind folgende Punkte:
- Nach Udo Rauchfleisch, Professor für Klinische Psychologie in Basel, spüren Kinder schon früh, meist bereits längst vor der Pubertät, ob sie hetero- oder homosexuell sind.
- Eltern haben, bewusst und unbewusst, Vorstellungen und Fantasien, was aus ihren Kindern werden soll. [...] Die elterlichen, ja sogar die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen werden von den Kindern registriert, ins Verhalten eingebaut, selbst wenn solches den ureigensten Bedürfnissen zuwider läuft.
- In der Pubertät verschärft sich diese Diskrepanz. Wenn das andere Geschlecht ins Zentrum des Interesses rückt, stehen homosexuelle Jugendliche oft abseits, da ihre sexuelle Neugierde und Emotionalität in eine andere Richtung weist. Häufig ziehen sie sich zurück, neigen zu Depressionen, denn sie glauben, die einzigen zu sein, die so empfinden. Es fehlen Vorbilder in der Öffentlichkeit, aber auch im näheren Umfeld [...].
- Eltern suchen alle möglichen Erklärungen für das Verhalten ihres Kindes, unterdrücken jedoch krampfhaft den Gedanken an eine mögliche Homosexualität, lassen eine solche 'Verirrung' bestenfalls als vorübergehende 'Phase' gelten.
- [...] Homosexualität hat es immer und in allen Kulturen gegeben. Keine Theorie kann das Phänomen endgültig erklären [...]. Weder Eltern noch Kinder sind an dieser 'Laune der Natur' schuld. Verführung zur Homosexualität gibt es nicht. Der Anteil ausschliesslich homosexuell empfindender Menschen beträgt [...] zirka fünf Prozent. In jeder Schulklasse sitzt also ein schwules oder lesbisches Kind. [...]"
Zitat aus der fels-Broschüre "Wir Eltern von Lesben und Schwulen"2:
"Was haben wir falsch gemacht?
'Wir haben unsere Kinder nicht früh genug informiert darüber, dass es auch homosexuelle Menschen gibt und dass wir eine lesbische Tochter oder einen schwulen Sohn ebenso lieben würden.'
Eltern eines schwulen Sohnes"
Eines der Ziele von fels kann so umschrieben werden (steht allerdings nicht in der Broschüre): Bei der Kinderfrage (Familienplanung) soll es selbstverständlich werden, auch darüber nachzudenken: Was tun wir, falls unser Kind homosexuell empfindet? Wann beginnen wir Zeichen zu setzen, dass wir es auch in diesem Fall lieben und akzeptieren? Möglichst früh!
Ernst Ostertag, Juni 2008
Quellenverweise
- 1
Robert G. Berger, Schule und Elternhaus, Nr. 2/1996, Seite 10 f, "Michael ist anders", Hrsg. Schul- und Sportamt der Stadt Zürich
- 2
fels-Broschüre, Wir Eltern von Lesben und Schwulen, Luzern, 2004, Seite 8