Newsletter 60

Dezember 2014

Diese Ausgabe enthält folgende Themen: 

  • Kolumne: Vor 40 Jahren entstand die HACH
  • Portrait André Ratti

   

Vor 40 Jahren entstand die HACH

eos. Rosa von Praunheims Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" war das Fanal zur Gründung von progressiven Schwulengruppen in Deutschland und der Schweiz. Man wollte und musste diese Situation zum Verschwinden bringen und schloss sich zusammen: in Zürich zur HAZ, in Basel zur HABS, in Bern zur HAB. Das war 1972. Ein Jahr später kamen die HASG dazu, die Homosexuellen Arbeitsgruppen St.Gallen. Vereint konnte man noch stärker auftreten. Also wurde am 14. Dezember 1974 die Dachorganisation HACH gegründet. In ihr waren alle HA-Gruppen, später auch die 1979 gegründete Zentralschweizer HALU, vertreten.

Diese Gruppen bestanden aus jungen Schwulen und gelegentlich auch einigen Lesben. Zunächst grenzten sie sich ab von den "bisherigen" aus dem KREIS hervorgegangenen Organisationen, wie etwa der SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) oder dem Club Isola, Basel. Man wollte als "stolze Schwule" kompromisslos befreit leben und stand politisch links.

Doch bald zeigten sich Risse zunächst zwischen den strammen "Politschwestern" und den "oberflächlichen" Tanz- und Vergnügungssüchtigen. Zu einer lebendigen schwulen Kultur gehörten aber beide; man versöhnte sich wieder. Später entstanden tiefere Risse, und es wurden sogar Grabenkämpfe um eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft ausgetragen: Die Schwulenbefreiung sei ein Teil einer grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzung. Den Revolutionären standen die Vertreter des typisch eidgenössischen Kompromisses gegenüber: Fortschritte können nur durch Koalitionen auch mit "offenen" bürgerlichen und religiösen Kräften erzielt werden. Das eine war die ideologisch denkende, das andere die pragmatisch vorgehende Seite oder Fraktion.

Die zweite setzte sich letztlich durch, indem auch nach innen gangbare Kompromisse gefunden wurden. So kam es zur Gründung der HACH. Dabei blieb jede kantonale HA-Gruppe autonom und schickte Delegierte in die Dachorganisation. Grosse Projekte und Publikationen, etwa im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen, blieben der HACH vorbehalten, unterstützt aus finanziellen Beiträgen der HA-Gruppen.

Wichtige Neuerungen begannen sich am politischen Horizont abzuzeichnen:

  • Die Revision des Strafgesetzes (StGB), wobei es für Schwule vor allem um dasselbe Schutzalter für Männer und Frauen und um die Aufhebung des Verbots homosexueller Handlungen im Militärstrafgesetz ging
  • Eine Gesamtrevision der Bundesverfassung, bei der für alle Homosexuelle ein Schutz-Artikel vor Diskriminierungen an oberster Stelle stand
  • Erste Diskussionen um die "Schwulen-Ehe", später Partnerschaftsgesetz genannt

Um hier vollen Einsatz leisten zu können, so sah man bereits voraus, war wohl eine nur aus Freiwilligen bestehende Organisation wie die HACH bald einmal überfordert. Bei der Gründung herrschte die klare Meinung vor: Die HACH ist absolut wichtig und die momentan richtige Antwort auf die anstehenden Aufgaben innerhalb der schwulen Gruppierungen wie draussen in der Politlandschaft. Zugleich sollte sie etwas Vorläufiges sein, eine Art Vor-Organisation auf dem Weg zu einem professionell geführten schweizerischen Verband aller Vereinigungen schwuler Männer. Das wollte man im Auge behalten.

Zwanzig Jahre später lösten sich sowohl die HACH wie die SOH, mit der sich ab 1978 eine fruchtbare Zusammenarbeit etablierte, in das neu geschaffene Schwulensekretariat Pink Cross auf.

Mehr zur HACH bei HA-Gruppen samt Unterkapiteln, insbesondere HACH (Schweiz)

  

André Ratti und sein unvergessliches Coming-out

jb. Die Jüngeren unter uns werden sich kaum noch an den Namen André Ratti erinnern. Der initiative gelernte Buchhändler mischte in den siebziger Jahren die Wissenschaftssendungen des damaligen Schweizer Fernsehens kräftig auf. Doch noch spektakulärer war sein Auftritt am 2. Juli 1985, als er der verblüfften Öffentlichkeit kundtat: "Ich bin selber homosexuell, ich werde dieses Jahr 50, und ich weiss, dass ich AIDS habe." Als erster Präsident der Aids-Hilfe Schweiz gab er der tabuisierten Krankheit ein Gesicht. Es ist Zeit, an diesen aussergewöhnlichen Menschen und Kämpfer zu erinnern.

Porträt André Ratti, Journalist, TV-Moderator und Präsident der Aids-Hilfe Schweiz