Newsletter 79

August 2016

Dieser Newsletter enthält folgende Themen:

    • Populisten gegen Schwule und Lesben
    • Die unglaubliche Story der Sarasin-Vettern

      

    Populisten gegen Schwule und Lesben

    eos. Minderheiten wie die Homosexuellen laufen immer wieder Gefahr, ins Fadenkreuz von Populisten zu geraten. So war es bei den Schweizer Sensationsblättchen Scheinwerfer und Guggu. Aus der Geschichte können wir lernen, solche Diskriminierungen frühzeitig zu erkennen und ihren Nazi-Wortschatz zu durchschauen. Hütet euch vor Populisten!

    Von 1911 bis 1946 (mit fünfjährigem Unterbruch wegen des Ersten Weltkriegs) erschien in Zürich jede zweite Woche ein kleines, scharfzüngiges Sensationsblättchen. Es nannte sich Scheinwerfer und hatte zum Motto:

    "Was morsch und faul ist drum und dran,
    Da setzen wir den Hobel an,
    Wohltätig ist der Wahrheit Licht,
    Ob’s manchen beisst – wir fragen nicht."

    Dieses Erzeugnis hatte es speziell auf Juden, Freimaurer, Kleriker, Linke und "Sittenverbrecher" wie etwa Homosexuelle abgesehen. An- und Ausgeleuchtete wurden mit vollem Namen samt Adresse an den Pranger der Öffentlichkeit gestellt. In wirtschaftlich schwierigen Jahren wie vor allem während der Nachkriegs-Zeit war das existenzbedrohend. Doch genau darauf zielte das Konzept ganz bewusst. Wenig später, ab 1928, setzten in Deutschland die nationalsozialistischen Hitler-Fanatiker ähnliche Konzepte in grossem Stil ein.

    Von 1936 bis 1939 gesellte sich ein weiteres Zürcher Blättchen derselben Geistesart dazu. Es nannte sich Guggu und eröffnete sofort, also vor achtzig Jahren, eine Kampagne gegen den Verein der "homosexuellen Männer und 'warmen' Frauen", den Guggu als "Eiterbeule" bezeichnete, die es aufzuschneiden gelte. Inzwischen also war der Nazi-Wortschatz bei uns angekommen, und man konnte Dinge verdrehen und sensationslüstern aufblähen, wenn es um den rein zu haltenden "gesunden Volkskörper" und das Bewahren von unantastbaren Bedürfnissen der "echten Schweizer" ging.

    Wiederholt sich die Geschichte? Nicht ganz genau, aber in ähnlichen Mustern. Aus der Geschichte können wir lernen. Und lernen heisst wach, aufmerksam und aktiv sein. Ein Beispiel von heute: Auf Facebook erschien folgender Beitrag:

    "Also wenn ich das live sehen würde – ich würde mich wehren, auf die Gefahr hin, als weissgottwas zu gelten. Aber wer die Fahne meines Heimatlandes verbrennt, gehört gestoppt und bestraft!"

    Dazu war das Bild von Muslimen zu sehen, die eine rote Fahne mit weissem Kreuz verbrennen. Nur, genau betrachtet war es die Fahne Dänemarks, aufgenommen vor zehn Jahren in Pakistan bei einer Protestaktion gegen die damals erschienenen Mohammed-Karikaturen. Diesen Facebook-Beitrag (vom 14. Juni 2016, laut Beobachter Nr. 13/2016, S. 16) verfasste SVP-Nationalrat Andreas Glarner, der bekannte Gemeindeammann von Oberwil-Lieli (AG). Vermutlich tat er dies, um seine Politik der Nichtaufnahme von Flüchtlingen ins "rechte Licht" zu setzen. "Klartext statt Wischiwaschi" steht auf seiner Website und auch das Stossgebet: "Herr, gib mir die Kraft […], das Eine vom Anderen zu unterscheiden." Populisten suchen immer im Licht – oder Schatten – eines zurechtgestutzten Herrgotts zu stehen und ignorieren bewusst, dass der Grosse, Eine derselbe ist für alle, auch für Schwarze, Muslime und Flüchtlinge. Sorgfältig hingesehen steckt in dieser Sache aber eine gefährliche Tendenz. Wer sich in solcher Weise äussert, wird früher oder später ähnlich gegen Schwule und Lesben vorgehen. Das lehrt uns die Geschichte.

    In seiner Ausgabe vom 14. März 1934 setzte das Hetzblatt Scheinwerfer zur dritten Kampagne gegen die Homosexuellen an. Dies nach einer ersten im März 1932, bei der es gelang, das Lokal der "herrlichen Damen und dämlichen Herren" zu schliessen, und einer zweiten im Februar 1934 mit einem Sensationsbericht zum "1. Internationalen Homosexuellen-Ball" in Zürich. Jetzt ging es gegen den Schweizerischen Freundschafts-Verband und dessen Zeitschrift Schweizerisches Freundschafts-Banner. Der Titel auf der Frontseite des Scheinwerfers hiess: "Durch Kampf zum Sieg!" Das war die Parole des gemeinsamen Frauen- und Herren-Verbandes. Doch im Scheinwerfer wirkte sie verdreht als Mahnmal an die normale Bevölkerung: Achtung, es droht Machtübernahme! Übernahme von Macht war damals ein hochaktuelles Thema, um Gefahren zu signalisieren und Angst zu schüren. Allerdings nicht eine Übernahme seitens der Homosexuellen, sondern durch die "Fröntler", die "Nationale Aktion" schweizerischer Anhänger der Nationalsozialisten, die den Anschluss ans "Neue Deutschland" Adolf Hitlers vorantreiben wollten. Die Fröntler waren zahlreich. Verdreht geschilderte Gefahr, Ablenkung und verleumderische Angriffe gegen Minderheiten, das waren ihre perfiden Mittel zur gezielten Destabilisierung der Bevölkerung. Aus dem Scheinwerfer-Text (fett Gesetztes original übernommen):

    "Durch Kampf zum Sieg! So heisst die Parole des […] Bundes der homosexuellen Männer und der lesbischen Frauen. [Nun folgten die genauen Adressangaben samt Postscheck-Konto, Name der Zeitschrift, der Redaktion und Herausgeberin Anna Vock sowie der beiden Vereinslokale.] Man könnte ja stillschweigend über diese staatszersetzende Vereinigung hinwegsehen, denn besser wäre es schon, wenn diese anormal veranlagten Menschen (gegen die sicher niemand etwas hat und die man höchstens bedauern muss) sich unter einander trösten und die andere Welt in Ruhe lassen würden. – Aber Letzteres ist nicht der Fall; denn der Verband verlangt vollständige Gleichberechtigung wie jeder andere Schiess- und Turnverein. Er will gerade so gut seine Freinächte und seine Bälle mit Katerbummel in aller Öffentlichkeit abhalten wie andere staatserhaltende Gesellschaften. Durch 'aufklärende' Druckschriften und Vorträge will er diese Gleichberechtigung begründen. – Wenn man aber obgenannte Zeitschrift durchgeht, werden allfällig auftauchende Gefühle des Mitleids übertönt durch das Gefühl der Empörung über die Anmassungen und die aufgestellten Forderungen. […] Es würde einem gar nicht wunder nehmen, wenn hinter dieser Bewegung der schon bald mehr berüchtigte als berühmte jüdische Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld stecken würde."

    Der Freundschafts-Verband war mutig und wehrte sich gegen diese Kampagnen. Er erreichte schliesslich eine Gerichtsverhandlung mit dem Resultat eines Vergleichs zur gegenseitigen Einstellung der "Pressefehde" und Bezahlung der Gerichtskosten durch den Scheinwerfer.

    Das hinderte den hauptsächlichen Redaktor und Verantwortlichen der Kampagnen aber nicht, zwei Jahre später, 1936, ein weiteres Hetzblatt zu gründen, den Guggu. Darin begann er mit der bereits erwähnten neuen Kampagne. Sie war heftiger als jene im Scheinwerfer und unübersehbar inspiriert von der vor dem Anschluss Österreichs (1938) bei uns noch einigermassen salonfähigen Nazi-Propaganda.

    Alles dazu auf Diffamierungs-Kampagnen

    Die unglaubliche Story der Sarasin-Vettern

    jb. Eigentlich waren sie ja "nur" Vettern zweiten Grades. Aber sie standen sich unheimlich nahe. So nahe, dass es dem Basler "Daig" anfänglich zu warm und den Vettern zu eng in der Backstube wurde. Doch dann starteten sie eine unglaubliche Karriere vom Ausland aus - und als sie schlussendlich nach Basel zurückkehrten, waren sie gemachte Leute. Der eine gründete den Schweizer Nationalpark; der andere war ein hochgeschätzter Wissenschafter. Und beide mischten den Basler Museumsbetrieb gründlich auf. Lesen Sie unser Doppelporträt Fritz und Paul Sarasin