Newsletter 88
Mai 2017
Dieser Newsletter enthält folgende Themen:
- 20 Jahre PinkRail
- Manuel Gasser: Ein grosser Liebender
20 Jahre PinkRail
eos. Die Gründung erfolgte am 22. November 1997. Aber die Vorbereitungen und Vorarbeiten dazu begannen Monate zuvor. Und eigentlich fing alles bereits 1994 in den USA an. Im ersten Jahr schon entwickelte sich PinkRail zur landesweit bekannten und anerkannten Organisation. Das war nicht selbstverständlich und geschah nicht ohne intensive Arbeit, ausgeführt von einer kleinen, mutigen und zu jedem Einsatz bereiten Truppe. PinkRail war die erste Gruppe von offen lesbisch oder schwul lebenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer grossen Schweizer Firma, die sie auch als Gesprächspartner und Freizeitorganisation anerkannte und finanziell unterstützte. Gleichzeitig pflegte PinkRail Beziehungen zum SEV, der Gewerkschaft des Verkehrspersonals. PinkRail organisierte sich nicht als eigenständiger Verein, sondern als Arbeitsgruppe innerhalb von Pink Cross, der gesamtschweizerischen Schwulenorganisation. Das ist bis heute so geblieben.
1953 lernte ich einen "Bähnler" kennen, wie er sich nannte. Dass er bei den SBB bald Lokomotivführer sein werde, erfuhr ich erst Monate später. Wir waren jung und verbrachten unsere Freizeit auf Velotouren und im Zelt. Wir wohnten noch bei unseren Eltern; eine sturmfreie Bude gab es nicht. Das war kein Problem. Ein Problem war der Beruf. Ich nannte mich "Student", obschon ich an einer ersten Stelle als Junglehrer amtete. Wir genossen die Natur und die Freiheit. Einmal begann er von seiner Tätigkeit zu sprechen und dass solche wie wir dort unerwünscht seien. Das schien ihn zu bedrücken. Irgendwann werde ich verschwinden, meinte er, diese Schande ertrage ich nicht. Ein paar Wochen danach war er weg. Ich weiss nicht, was aus ihm geworden ist.
Später traf ich im KREIS andere "Bähnler". Im Gespräch wurde klar, dass alle staatlichen, aber auch die allermeisten anderen Betriebe für unsereins Gefahrenzone sind und daher ein perfektes Doppelleben erfordern. Das blieb so bis nach 1990. Lockerungen begannen erst vor etwa 25 Jahren. Daraus wird nachvollziehbar, was die Gründer von PinkRail auf sich nahmen. Die SBB waren immer ein eher konservativ-elitärer und auf ihre Leistungen und Stellung im Lande stolzer Betrieb. Diese Haltung teilte auch das gesamte Personal. Die PinkRailer sahen sich als ihrer Firma zugehörig und wollten, dass es ihr gut gehe. Eine Öffnung hin zur Gleichberechtigung würde die SBB moderner machen und liesse sie in der ganzen schweizerischen Arbeitswelt zum Vorzeigemodell werden. Und davon würden alle profitieren. Solche Überlegungen galt es in die Belegschaft hinaus und bis in die oberste Leitung zu tragen. Eine gewaltige Aufgabe, die viel Zeit und hohen Einsatz forderte. Man stand am Anfang und war noch eine kleine Gruppe, aber man war entschlossen und hoch motiviert.
Thomas Gyger, einer der Gründerväter, erlebte 1994 die Pride (CSD) in San Francisco und sah dabei schwule Polizisten in Dienstwagen mitfahren und mitdemonstrieren. Sowas muss es bei uns auch geben! Dazu war er sofort entschlossen. Als Eisenbahner sah er das Bild von mitgehenden Bähnlern in Uniform vor seinen Augen. Bereits ein knappes Jahr nach der Gründung von 1997 marschierten PinkRailer im CSD-Umzug vom 18. Juli 1998 in Zürich, eingehüllt in die grell-orangen Warnwesten der SBB. Keine Demo mehr ohne Railerinnen und Railer in diesem Outfit! Es war ab sofort ihr Markenzeichen.
Im Zentrum der Aktivitäten aber standen Arbeitsverträge und Pensionsbezüge. PinkRail setzte sich das Ziel, gleiche Rechte und gleiche Bedingungen für weibliche wie männliche Angestellte zu schaffen und natürlich ebenso für gleichgeschlechtliche Paare analog zu Ehepaaren, etwa bei Vergünstigungen im Bahnverkehr, bei den Bezügen von Renten oder Beträgen im Todesfall des Partners, der Partnerin. Es dauerte Jahre von zähem Dranbleiben, bis schliesslich Anpassungen gleichzeitig mit dem Abschluss des ersten SBB-Gesamtarbeitsvertrags vorgenommen wurden und am Ende annähernd Gleichheit erreicht war. Im Sommer 2004 konnte PinkRail in einem Rundbrief informieren:
"Der oberste SBB-Boss hat sich letztes Jahr im Verkehrshaus Luzern [...] und in der SBB-Zeitung formell zu uns bekannt. Wie viele CEO in der Schweiz stehen öffentlich zu ihren lesbischen Mitarbeiterinnen und ihren schwulen Mitarbeitern? [...] Denn auch noch 2004 gibt es verbohrte Zeitgenossen, die behaupten, bei der Bahn arbeiten keine Lesben und Schwulen! [...] Für alle Mitglieder, die beim öV (öffentlichen Verkehr) arbeiten, nicht nur jene bei den SBB, setzten wir uns ein, z.B. für die Aushandlung diskriminierungsfreier Gesamtarbeitsverträge oder für verbesserte Bedingungen für unsere Lebenspartner bei den Pensionskassen. Dies können wir nur tun, wenn wir uns auf eine entsprechend grosse Mitgliederzahl berufen können und sich einzelne betroffene Mitglieder aus der jeweiligen Firma persönlich, zusammen mit uns, für unsere gemeinsamen Forderungen einsetzen."
Zwei Jahre später, im März 2006 berichtete PinkRail vom neuen Gesamtarbeitsvertrag der BLS (Bern-Lötschberg-Simplon Bahn), worin der Diskriminierungsschutz auf Grund der sexuellen Identität und der Lebensform festgeschrieben sei. Die Verhandlungen darüber hatten bereits im November 2004 begonnen. 2014 veröffentlichte PinkRail eine knappe Übersicht:
"All dies ist uns nicht einfach in den Schoss gefallen: da ist viel persönliches Engagement und Überzeugungsarbeit nötig gewesen und immer noch nötig! Nur eine Gruppe wie PinkRail kann den Lesben und Schwulen eine genügend laute Stimme geben, ist kompetenter Ansprechpartner und kann unsere Anliegen über längere Zeit wirkungsvoll vertreten."
PinkRail gibt es noch heute. Auch wenn diese Gruppe zusammen mit der Gewerkschaft viel erreichte, es stehen immer noch ein grosses Mass an Arbeit und Aufgaben an. Die Öffentlichkeit muss immer wieder neu mit den aktuellen Problemen und Anliegen unserer Minderheit konfrontiert werden. Und das gilt selbstverständlich für alle anderen LGBTI-Gruppierungen und Organisationen in gleicher Weise.
Mehr zu PinkRail:
Manuel Gasser: Ein grosser Liebender
jb. Manuel Gasser (1909-1979), Mitbegründer der Weltwoche und Chefredaktor des Kulturmagazins Du, war in seinen Tagebuchnotizen und Briefen erstaunlich offen. Zu einer Zeit, als Homosexualität noch mit einem Tabu behaftet war, pflegte er längere und meist kürzere Freundschaften zu Radrennfahrern und andern jungen Burschen - und das nicht nur im Verborgenen. In David Streiff fand Gasser einen fleissigen und belesenen Biografen, der allen Verästelungen im Leben des Publizisten nachgespürt hat. Das 2016 im Limmat Verlag herausgebrachte Buch fand weit herum einen positiven Wiederhall.
Klara Obermüller im Geleitwort zum Buch:
"Die Einsichten, die David Streiff aus der Sichtung der nachgelassenen Materialien gewonnen und durch akribische eigene Recherche ergänzt hat, (gibt) ein umfassendes, mit ebenso viel Sachverstand wie Empathie geschriebenes und gleichwohl nicht unkritisches Lebensbild jenes Mannes, der eine Vielzahl angehender Journalisten und junger Künstler gefördert und zuerst mit der Weltwoche, später mit dem Du die mediale und kulturelle Landschaft der Schweiz wie kein Zweiter geprägt hat."
Andreas Tobler im Tages-Anzeiger vom 14.Januar 2017:
"Die Leistung von Streiffs grossem Gasser-Buch besteht nicht allein in der Nacherzählung eines Journalistenlebens. Sondern auch darin, dass es die Biografie eines Schwulen erzählt, der seine Homosexualität mit mehr als nur bemerkenswerter Offenheit leben konnte."
Karl Lüönd im Schweizer Journalist vom März 2017:
"Streiffs Buch, exakt und zugleich elegant geschrieben, ist ein Lesevergnügen für alle, die einen authentischen Einblick in die Schweizer Zeit- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu schätzen wissen."
Alexis Schwarzenbach in NZZ am Sonntag vom 15. Januar 2017:
"In neunjähriger Mammutarbeit ist so ein 732 Seiten starkes Buch entstanden, das Fans der Kulturgeschichte eine enorme Fülle an neuen Zitaten und Querverbindungen präsentiert."
Christian Lütjens in Männer, Januar 2017:
"Der 71-Jährige hat das 'fremde Leben' des Manuel Gasser neun Jahre lang studiert, um ihm nun eine 700-Seiten-Biografie zu widmen, die nicht weniger ist als ein Meisterwerk. Mithilfe von Tagebucheinträgen, Briefen und journalistischen Texten rekonstruiert Streiff die Persönlichkeit jenes Mannes, der von Pirmin Meier spöttisch als 'Salonlöwe' und 'Mediator eines mannliebenden kulturellen Netzwerkes' bezeichnet wurde, der aber vor allem eines war: ein grosser Liebender. Es bedurfte wohl eines schwulen Autors, um das schwärmerische Naturell, das Gasser in Bezug auf Männer entwickeln konnte, mit seinem intellektuellen Scharfsinn in Einklang zu bringen. So erzählt die Biografie eine europäische, eine kulturelle und eine schwule Geschichte."
Gabriel Katzenstein, Neue Zürcher Zeitung vom 9. März 2017:
"Streiffs Lebensbeschreibung, fern einer Hagiografie, besticht dort, wo sie die Arbeit dieses Homme de (très belles) lettres in einen grösseren Kontext setzt, beispielsweise in den Ausführungen zur Matrosenromantik, zur Wandervogel- und Pfadfinderbewegung oder im Korrektiv zu Gassers überschwänglicher Filmrezension von Viscontis 'Bellissima. […] Zudem leistet das Buch einen eminenten Beitrag zur schwulen Kulturgeschichte der Schweiz."
David Streiff hat für schwulengeschichte.ch das Porträt über Manuel Gasser geschrieben: