Newsletter 130

Oktober 2020

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema:

  • René Hubert - unser Mann in Hollywood

René Hubert - unser Mann in Hollywood

chw. Zürcher Kaufleutensaal im Mai 2016. André Heller liest aus seinem neuen Roman "Das Buch des Südens". Dazwischen parliert er charmant, locker und wortgewandt mit Interviewerin Elke Heidenreich. Mehrmals kommt der Wiener Multimediakünstler auf Marokko zu sprechen, wo er zeitweise lebt und Gastgeber des von ihm gestalteten Wundergartens Anima ist. Dieses Traumland Marokko, erzählte er, habe er bereits in den frühen 1970er Jahren bereist. Dort habe er damals das Glück gehabt, viele alte, berühmte Künstler aus Europa und Amerika kennenzulernen. Um einen Zürich-Bezug herzustellen, erwähnte er einen Schweizer Filmkostümbildner, den er in Marokko angetroffen habe. Dieser sei der letzte Liebhaber von Rudolph Valentino gewesen und habe in seiner Wohnung in Zürich ein Zimmer mit lauter Valentino-Memorabilien eingerichtet.

Den Namen dieses Filmkostümbildners erwähnte Heller nicht. Doch meine Neugierde war geweckt, hatten mich doch das Kino und all die Geschichten drumherum schon immer fasziniert. Wer war dieser Mann, der im frühen Hollywood gewirkt haben muss und mit dem beliebtesten männlichen Filmstar der Stummfilmzeit liiert gewesen war? Dem sagenumwobenen Frauenscharm aus Italien und Inbegriff des Latin Lovers, der 1926 nach seinem frühen Tod im Alter von 31 Jahren eine kollektive Trauer auslöste?

Vor 125 Jahren in Frauenfeld geboren

Beim Googeln kam ich bald einmal auf den mir bisher völlig unbekannten René Hubert, der 1895 - im gleichen Jahr wie Valentino - in Frauenfeld unter dem Namen René Eugen Huber geboren wurde. Der 1916 nach Paris ging, um Kunst zu studieren, und 1925 nach Hollywood, wo er eine internationale Filmkarriere startete. Gemäss dem Filmportal IMDB verantwortete Hubert bis 1964 die Garderoben für rund 180 Spielfilme. 1976 starb er als Achtzigjähriger in Zürich, wo er die letzten 16 Jahre seines Lebens mit seinem griechischen Lebenspartner gewohnt hatte. Auf Youtube fand ich ein Interview mit Hubert, das er kurz vor seinem Tod dem Schweizer Fernsehen gegeben hatte. Darin berichtet er über seine Zusammenarbeit mit den Leinwandgöttinnen Gloria Swanson und Marlene Dietrich.

Ich habe natürlich auch versucht, mehr über das Verhältnis von Hubert mit Valentino zu erfahren. Doch selbst im Buch "Rudolph Valentino’s Men" des Autors David Bret findet Hubert keine Erwähnung. Das ist nicht weiter verwunderlich, musste doch Homosexualität zu Lebzeiten von Hubert überall auf der Welt äusserst diskret gehandhabt werden. Aus naheliegenden Gründen. Dass sich Hubert und Valentino jedoch gekannt haben, ist verbrieft. Auch dass Valentino sich lieber mit Männern als mit Frauen umgab. Die beiden lernten sich 1923 in New York kennen, wo Hubert einen Auftrag für eine Revue im Shubert Theatre erfüllte. Valentino engagierte Hubert für die Gestaltung eines Teils der Kostüme seines historischen Films "Monsieur Beaucaire", den er gerade auf Long Island drehte. Doch Valentinos Ehefrau, die lesbische Designerin Natacha Rambova, sorgte dafür, dass Hubert im Abspann nicht erwähnt wurde. Damals war Hubert im US-Film noch ein Nobody.

Zweimalige Oscar-Nominierung

Wer nach Schweizer Oscar-Gewinnern oder -Nominierten googelt, stösst auf Listen, auf denen ein Name stets fehlt: derjenige von René Hubert (1885-1976). Der heute fast in Vergessenheit geratene Film- und Theaterkostümbildner wurde zweimal - 1955 und 1965 - für einen Oscar nominiert. Und wäre der Kostüm-Oscar vor 1948 vergeben worden, dann hätte der gebürtige Frauenfelder bestimmt einen Oscar nach Hause gebracht. Er spielte während der goldenen Ära von Hollywood in der ersten Liga der Filmkostümbildner, arbeitete für zahlreiche Meisterwerke. Am aktivsten war er im amerikanischen Film zwischen 1925 und 1950. Doch er hinterliess auch markante Spuren im französischen und britischen Film - und während der Weimarer Republik ebenso im deutschen Film. Der in St. Gallen unter dem Namen René Eugen Huber aufgewachsene "Kreateur", wie er sich selber nannte, kleidete die berühmtesten Filmdiven ein - etwa Gloria Swanson, Marlene Dietrich, Shirley Temple, Vivien Leigh, Marilyn Monroe oder Ingrid Bergmann. Er galt als Spezialist für Historienfilme, doch er betätigte sich in jedem Genre. Ein besonderes Flair hatte er für glamouröse Auftritte. Kein Wunder, ist sein Talent zum ersten Mal aufgefallen, als er in seinen Anfängen für die Pariser Revuetheater wie Folies Bergères und Casino de Paris gearbeitet hatte.

Meine Neugierde war vorerst einmal gestillt. Doch René Hubert liess mich nicht mehr los. Diesen einst berühmten schwulen Schweizer Künstler müsste man doch auf schwulengeschichte.ch mit einem Porträt würdigen. Also forschte ich weiter und stiess dabei auf den professionellen Autogrammhändler Rolf Ramseier aus Guntershausen SG, der vor einigen Jahren einen Teil des Nachlasses von Hubert gekauft hatte. Er hoffte, darin Autogramme zu finden, um sie verkaufen zu können. Tatsächlich wurde er mehr als nur fündig und war dermassen angetan von der Person Huberts und dessen Lebenswerk, dass er kein einziges Autogramm verkaufte und anfing, weitere Teile aus dem Nachlass von René Hubert zu kaufen. An Auktionen erstand er ein paar Filmkostüme und von Hubert gestaltete Textilien, er stöberte auch in Medienarchiven und widmete Hubert eine Seite auf seiner Homepage.

Einen ganzen Nachmittag lang zeigte mir Rolf Ramseier, was er vom Nachlass ergattern konnte: Unzählige Dokumente und Original-Schwarzweiss-Fotoabzüge mit Widmungen der grössten Stars von Huberts Zeit in Hollywood und andern Filmmetropolen. Darunter Originalbriefe von Stars, Zertifikate von Oscar-Nominationen, Verträge, Kostümskizzen, private Zeichnungen und Briefe, ein paar Kostüme sowie textile Zeugnisse seiner Kunst. Hubert hatte nicht nur fürs Kino gearbeitet, sondern auch für Theater, Modehäuser, Textilfirmen, Ausstellungen und sogar für die Swissair.

Ausstellung im Museum für Gestaltung

Ich war beeindruckt. Diesen Schatz müsste man doch ausstellen, sagte ich zu Rolf. Doch der war zuvor mit dieser Idee bereits bei mehreren Museen abgeblitzt. Ich machte einen weiteren Versuch. Eine Bekannte, die Zürcher Kunsthistorikerin Yvonne Türler, stellte einen Kontakt her zum Museum für Gestaltung in Zürich. Und siehe: Nach ein paar Monaten teilte mir das Museum mit, dass eine Ausstellung eingeplant sei und man den Nachlass mit einigen Kostümen und weiteren Trouvailles von René Hubert ergänzen konnte. Tatsächlich: Die Ausstellung unter dem Titel "René Hubert - Kleider machen Stars" wird nun am 19. März 2021 eröffnet und dauert bis 20. Juni 2021. Details und Rahmenprogramm gibt das Museum im Dezember 2020 bekannt.

Und dann wurde mir gegen Ende meiner Recherchen sogar noch ein Interview mit André Heller zugespielt. Das bestätigt mir, dass der Mann, von dem André Heller im  Zürcher Kaufleuten erzählte, tatsächlich der "zauberhafte und etwas bizarre, sehr altmodische homosexuelle Herr namens René Hubert" war.
Mehr über sein umfangreiches Lebenswerk ist im jetzt auf schwulengeschichte.ch aufgeschalteten Porträt zu finden. Darin erfährt man auch über Huberts schicksalshafte Begegnung mit Gloria Swanson, die sein Leben entscheidend verändert hat und warum Marlene Dietrich vom "liebsten René" unbedingt einen Mantel "mit Blaufüchsen" haben wollte.