Newsletter 133

Januar 2021

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema:

  • Erster Stolperstein in der Schweiz gesetzt
  • Vor 30 Jahren: "Klare Rechte für schwule und lesbische Lebensgemeinschaften"

Erster Stolperstein in der Schweiz gesetzt

eos. Mit "Stolpersteine" öffnen wir ein neues Kapitel unserer Website. Denn es gibt nun in der Schweiz einen ersten dieser Steine für ein homosexuelles Opfer, vor dem letzten Wohnort Josef Alfons Traxls im Stadtzürcher Kreis 4.

Was sind Stolpersteine? Sie sind den Opfern des Nationalsozialismus gewidmete Gedenksteine, und jeder ist auch ein Denkmal. Sie bestehen aus kleinen Messingplatten in Form eines Quadrats von ca. 10 cm Seitenlänge, die auf einen gegossenen Beton-Sockel fixiert sind. Die Messingplatten tragen eine Inschrift. Stolpersteine werden vor Häusern ins Pflaster oder den Asphalt eingelassen, in denen die Opfer vor ihrer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager gewohnt hatten. Meist sind es die einzigen Zeugen von Leid und Tod eines Menschen. Sie sollen an ihn erinnern und die heute Vorübergehenden geistig zum "Stolpern", zum Innehalten und Nachdenken bringen. Es gibt bereits um 80'000 Stolpersteine in 26 Ländern Europas, nun auch in der Schweiz. Der erste Stolperstein wurde 1992 in Deutschland gesetzt.

Am 27. November 2020 konnte in Zürich mit einer kleinen Feier der erste schweizerische Stolperstein für ein schwules Opfer eingelassen werden. Er gilt einem Mann mit österreichischem Pass, der 1937 ausgewiesen und an die Grenze gebracht wurde, weil er als Stricher "ein unzüchtiges, lasterhaftes Leben" geführt hatte. Nach damals gültigem kantonalem Gesetz war jegliche homosexuelle Betätigung verboten. Acht Monate später annektierte Hitler-Deutschland die Republik Österreich. Der Ausgeschaffte geriet in die Fänge der neuen Ordnung und kam ins KZ Buchenwald, wo er 1941 getötet wurde.

Das KZ Buchenwald, bald eines der berüchtigtsten und grössten auf deutschem Boden, errichteten die Nazis 1937 am Nordwesthang des Ettersberges bei Weimar. Doch aus der Stadt, weltberühmt als Wohn- und Wirkungsort von Goethe und Schiller, war das Lager nicht sichtbar. Dass es genau dort geplant und betrieben wurde, war typisch für die Nazi-Mentalität. Eine solche Stätte der Ausgrenzung und Ausmerzung von "Volksschädlingen" sollte, neben die Bedeutung Weimars gesetzt, das Mass und die Symbolkraft der Entwürdigung massiv verstärken. Dafür sorgte auch der vom Lagerinneren her in roter Schrift sichtbare Spruch über dem Eingangstor: Jedem das Seine. Er geht, lat. suum cuique, auf Kaiser Justinian I. zurück, der von 527-565 regierte und damit "Jedem das Seine zubilligen" meinte, während die Nazis den Spruch verdrehten zu "Ihr bekommt, was ihr verdient".

Wie alle Homosexuellen trug Josef Traxl im KZ als Kennzeichen den rosa Winkel, gedacht als zusätzliche Erniedrigung, weil Rosa traditionell die Farbe der Mädchen-Babys ist. Homosexuelle bildeten die unterste Hierarchie-Stufe der KZ-Insassen, sie rangierten noch unter den Juden.

Josef Traxl, dem der erste Stolperstein der Schweiz gewidmet ist, wurde 1900 in Zürich geboren und wuchs im Stadtkreis 4 auf. Er hatte vergeblich versucht, in seiner gefühlten Heimat Fuss zu fassen und einen Beruf auszuüben. Als Homosexueller und Ausländer war das damals enorm schwierig. Nachdem sein Vater früh verstorben war, geriet er in "ein verpfuschtes Leben", wie er später schrieb. Und das nahm einen fatalen Lauf.

Vor 30 Jahren: "Klare Rechte für schwule und lesbische Lebensgemeinschaften"

eos. Endlich hat auch der Ständerat seine Beschlüsse zur "Ehe für alle" mit knapper Mehrheit gefasst und die hartnäckigen Verhinderer überstimmt. Und endlich hat unser Anliegen auch die parlamentarische Schlussabstimmung hinter sich. Nun steht die lang erwartete Volksabstimmung im Raum. Wir werden diese Propaganda-Plattform nutzen und die Abstimmung gewinnen! Dann hat auch der Nachzügler Schweiz seine "Ehe für alle" fast gänzlich realisiert. Am Rest müssen wir unnachgiebig weiterarbeiten. Ein langer Weg mit nun sichtbarem Ziel sind wir gegangen und gehen ihn weiter. Er begann vor 30 Jahren mit einer Tagung in Solothurn unter dem Motto "Klare Rechte für schwule und lesbische Lebensgemeinschaften", organisiert durch die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern (HAB).

Allerdings ging dieser Tagung einiges voraus. Der erste Denkanstoss brachte ab 1988 das Ausländerrecht. Schwule oder lesbische Lebenspartner ohne Schweizerpass hatten, wenn liiert mit Schweizern, bei der Aufenthaltsgenehmigung keinerlei Anspruch auf Sonderbehandlung. Für Heterosexuelle war es völlig anders, sobald sie heirateten, was Homosexuelle nicht tun konnten: Juristisches Un-Recht, das man ändern wollte.

Als sich 1972 die ersten Homosexuellen Arbeitsgruppen (HA) in der Schweiz formierten, dachten die jungen Aktivisten wohl noch nicht an ihr Alter und die herrschende Ungerechtigkeit bei Todesfall: Mit einem Testament bezahlten die Zurückgebliebenen hohe Erbschaftssteuern, ohne Testament gingen sie leer aus. Auch gab es kein Besuchsrecht, wenn einer oder eine der beiden auf der Intensivstation lag. Es fehlte jede Rechtsnorm. Viele der jungen Mitglieder der HA-Gruppen dachten radikal und wollten die gesamte Gesellschaft umkrempeln. Mann war links und der Slogan hiess "Lila ist die Farbe des Regenbogens, Schwestern, die Farbe der Befreiung ist rot!" Das war damals ok.

Aber inzwischen war man durch die Aids-Krise gegangen und hatte fast die Hälfte der Aktiven verloren. In derselben Zeit hatte sich auch die Gesellschaft verändert und war aufgeschlossener geworden. Die nicht-revolutionären unter den übriggebliebenen HA-Aktivisten dachten nun ans politisch Machbare und sahen u.a. Änderungen im Zivilstand als Möglichkeit, um mehr Rechte zu bekommen. Sie gründeten eine "Arbeitsgruppe Bundespolitik".

Eine Zusammenkunft des Dachverbandes der Homosexuellen Arbeitsgruppen der Schweiz (HACH) wurde am 1. Oktober 1989 unter das Thema gestellt "Neue Lebensformen oder 'alte' Ehe für gleichgeschlechtliche Paare". Ergebnis: Erstmals wurde "Ehefreiheit" verlangt und als Medienmitteilung veröffentlicht. Vorbereitet hatte das die HACH-interne "Arbeitsgruppe Bundespolitik". Doch es gab Widerstand aus weiterhin revolutionär denkenden Kreisen, die grundsätzlich jede Form "bürgerlicher Ehe" ablehnten.

Nun organisierten die pragmatisch denkenden Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern (HAB) für 1991 eine neue Tagung, die zum Durchbruch führen sollte. Man stellte die Rechte in den Vordergrund und die Form (Ehe oder Partnerschaft) blieb unerwähnt: "Klare Rechte für schwule und lesbische Lebensgemeinschaften." Doch eine Einigung kam nicht zustande. Denn zur selben Zeit hatte der Bund eine Revision des Eheschliessungsgesetzes beschlossen. Das betraf die hergebrachte Ehe und führte landesweit zu intensiven Diskussionen. Also schien ein völlig neues Anliegen wie "gleiche Rechte durch Eheöffnung für Gleichgeschlechtliche" zu diesem Zeitpunkt chancenlos. Man musste auf eine bessere Gelegenheit warten. Zudem arbeitete die "Arbeitsgruppe Bundespolitik" am Einbringen ihrer dringenden Forderungen bei der laufenden Revision des Eidgenössischen Strafgesetzes (StGB). Die Abstimmung zum StGB stand im Mai 1992 bevor.

Es wurde überdeutlich, dass die Arbeit von Freiwilligen an ihre Grenzen stiess und wirklich effizient nur in professionalisierter Form weitergeführt werden konnte. Deshalb entstand 1993 die neue Dachorganisation Pink Cross als Schwulensekretariat. Pink Cross nahm 1994 das Anliegen einer eheähnlichen Verbindung für alle wieder auf mit der landesweiten Petition "Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare". Sie konnte vor genau 26 Jahren am 9. Januar 1995 mit 85'181 Unterschriften im Bundeshaus eingereicht werden. Indem die Petition weder Ehe noch Partnerschaft erwähnte, also die Form der Verbindung offen liess, schaffte sie den grossen Konsens innerhalb der Community. Nur damit war eine wahrscheinliche Abstimmung zu gewinnen, was zehn Jahre später dann auch gelang. Also vor 16 Jahren. Und jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt, die Ehe für alle.