Newsletter 137

Mai 2021

Diese Ausgabe enthält folgende Themen:

  • Heute Regenbogenhaus, vor 50 Jahren Zabriskie Point
  • Die "Ehe für Alle" kommt vors Volk!

Heute Regenbogenhaus, vor 50 Jahren Zabriskie Point

eos. Bereits ein Jahr vor der Gründung der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich (HAZ) gab es einen Zusammenschluss von schwulen Studenten beider Hochsch(w)ulen, der Universität und der ETH. Das Wort mit dem "w" drin verwendeten einige von ihnen bis es von den Leitungen dieser Schulen verboten wurde. Sie sahen sich als politisch Linke mit einem "Gay Liberation"-Programm in bewusster Distanz und Konkurrenz zur "bürgerlichen" Nachfolgeorganisation des KREIS, der SOH (Schweizerischen Organisation der Homophilen). Folgerichtig nannten sie sich nicht "homophil", sondern "schwul". Am 12. Mai 1971 gründeten sie die studentische Verbindung "Zabriskie Point", aus der ein Monat später der Verein "Zabriskie Point und Kontaktforum" entstand.

Ein geeignetes Lokal für ihr Projekt hatten die Studenten schon im März/April gefunden. Es lag im Keller eines ETH-Gebäudes an der Leonhardstrasse 19. Tagsüber diente dieser Keller dem SSR (Schweizerischer Studentenreisedienst), und abends wurde er nun zum bald rundum beliebten Club "Zabi". Nach ihrer Gründung betrieb ihn die HAZ von 1972 bis 2001. Es gab den "Zabi" also dreissig Jahre lang und sein Name war sozusagen Programm. Ihn nutzten auch andere Gruppierungen für ihr Lokal, beispielsweise die Homosexuelle Arbeitsgruppe St.Gallen.

Schon bei der Gründung prallten zwei verschiedene Richtungen von Interessen aufeinander. Die einen wollten einen Tanzclub betreiben, die anderen sahen das Lokal als Basis für politische Kontakte und Aktivitäten. Man einigte sich und wählte einen beides umfassenden Vereinsnamen, Kontaktforum und "Zabi"-Club.

Heute wissen wohl nur noch wenige, warum die Gründer den Namen Zabriskie Point wählten. Er bezeichnet einen bestimmten Aussichtspunkt im berühmten Death Valley, weit nordöstlich von Los Angeles. Dort spielt ein gleichnamiger Kultfilm jener Zeit. In den frühen 1970er-Jahren identifizierten sich viele Jugendliche in den USA und Europa mit den beiden Protagonisten dieses Films, einem Studenten und einer gleichaltrigen Werbefachfrau. Sie waren Aussteiger, deren freies Leben und Lieben ausführlich und erotisch in Szene gesetzt wird, aber tragisch endet, wobei die Frau am Schluss eine Art Klimaschutz-Vision vorweg nimmt. Darum wäre der Film vermutlich heute wieder aktuell - doch er müsste wohl scheitern an der neuen Prüderie unserer Tage…

Gegensätze überwunden

Ein Jahr später, 1972, entstand aus dem Kreis der "Zabi"-Aktivisten die HAZ. Anfänglich blieb die linke Gesinnung der Politschwestern als Gegensatz zu den SOH-Homophilen akut bis sich langsam die Einsicht durchsetzte, dass nur alle vereint die Ziele der Befreiung realisieren können. Es kam zu Projekten der HAZ, die von der SOH in ihrem Magazin hey mit propagiert wurden. 1977 fand die SOH an der Winterthurerstrasse 52 ein Lokal für die täglichen Aktivitäten, nachdem ihr Conti-Club drei Jahre zuvor eingegangen war. 1979 zog auch die HAZ dort ein und man nutzte die Räume in einem festgelegten Turnus bis die HAZ im Mai 1983 ihr bald berühmtes "Centro" am Sihlquai 67 bezog. Nur ein Jahr später konnte sich auch die SOH dort einnisten. Sie blieb bis zu ihrer Überführung in Pink Cross, Ende 1994.

Und jetzt im Mai 2021 verlässt die HAZ das "Centro" endgültig. Ihr neues Zuhause ist das von fast allen queeren Gruppierungen erstellte, mitfinanzierte und nun benutzte Regenbogenhaus Zürich an der Zollstrasse 117. Das Regenbogenhaus steht demnach in direkter Nachfolge des Zabriskie Point und blickt auf eine fünfzigjährige Vorgeschichte zurück!

Die "Ehe für Alle" kommt vors Volk!

dbr. Sieben Jahre hat es gedauert seit der Einreichung einer parlamentarischen Initiative im Nationalrat, bis das Schweizer Parlament ein Gesetz verabschiedete, das die "Ehe für Alle" ermöglicht. Damit sind wir der Gleichstellung ein weiteres, wichtiges Stück näher gerückt. Doch weil das Referendum zustande kam, geht es noch ein paar Monate, bis wir wirklich feiern können. Bis dahin werden wir wieder einen Abstimmungskampf bestreiten dürfen und möglichst viele Schweizer dazu bewegen, an der Urne zu sagen: "Ja, ich will!"

Am 5. Dezember 2013 reichte die grünliberale Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy die parlamentarische Initiative "Ehe für Alle" ein. Der Artikel 14, Absatz 1 der Bundesverfassung sollte durch das Wort "Lebensgemeinschaft" ergänzt werden: "Das Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft (neu) und Familie ist gewährleistet." In ihrer Begründung schrieb sie:

"Menschen heiraten unter anderem, weil sie ihre Lebensgemeinschaft auf eine dauerhafte Basis stellen wollen, sich gegenseitig finanziell absichern und gegenüber der Gesellschaft ihre Verbundenheit ausdrücken möchten. Einem Teil der Gesellschaft in der Schweiz werden diese Rechte jedoch verweigert, ihnen steht eine Ehe zweiter Klasse in Form der eingetragenen Partnerschaft zur Verfügung. Diese Deklassierung aufgrund biologischer Unterschiede ist mit einem liberalen Gesellschaftsbild und einem modernen Rechtsstaat unvereinbar."

Im Februar 2015 stimmte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates dem Geschäft zu und im September tat dies auch diejenige des Ständerates. Weitere Beratungen drehten sich um die Frage, ob eine Änderung der Verfassung überhaupt nötig sei oder eine Gesetzesänderung nicht auch genüge. In der Bundesverfassung steht schon heute der Satz: "Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet." Es wurde argumentiert, dass dieser Satz offen genug sei, auch die Ehe unter gleichgeschlechtlichen Paaren zu meinen. Es wurde argumentiert, dass Ende des 20. Jahrhunderts, als der Satz formuliert wurde, dieser vielleicht noch nicht auf eine Ehe für alle abzielte, aber seit damals habe sich ein grosser gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Verschiedene Rechtsgutachten kamen zum Schluss, dass diese Interpretation zulässig sei, wenn dies auch nicht die Meinung aller Expertinnen und Experten war und ist.

Keine Verfassungsänderung

Am 5. Juli 2015 entschied die Rechtskommission des Nationalrates, dass eine Gesetzesänderung genüge. Sie beauftragte die Verwaltung, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten. Dieser beinhaltete das Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare, das Adoptionsrecht, wie auch den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin, also die Samenspende für weibliche Ehepaare.

2017 musste über eine Fristverlängerung um zwei Jahre diskutiert werden. Die Gegner wolten das Geschäft jedoch abschreiben. Der Genfer SVP-Nationalrat Yves Nidegger argumentierte, dass mit der eingetragenen Partnerschaft bereits genügend getan worden sei. Diese gewähre Homosexuellen die gleichen Rechte wie die Ehe den Heterosexuellen. Er führte auch aus, dass es eine Art moderner Krankheit sei, dass man alles gleich behandeln wolle. Das französiche Wort für Ehe, Mariage, habe eine historische Bedeutung und sei vom lateinischen «matrimonium" abgeleitet.  "Mater" bedeute Mutter und "monius" bedeute Funktion. Bei der Ehe handle es sich also um eine Institution, die der Frau dazu diene, das Leben weiterzugeben.

Die Fristverlängerung wurde trotzdem beschlossen und der damals vorliegende Gesetzesentwurf, nach einer weiteren Fristverlängerung, 2019 in die Vernehmlassung geschickt. Eine überwiegende Mehrheit der Wortmeldungen sprach sich für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus, nur vier Kantone, drei Parteien und vier Organisationen waren grundsätzlich dagegen. Dass auch der Zugang zur Samenspende erlaubt sein solle, erhielt grosse Unterstützung, allerdings nahmen 22 Kantone gegen die Behandlung dieser Frage Stellung. Am 30. August 2019 stimmte die Nationalratskommission mit 17 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung dem überarbeiteten Entwurf zu. Eine Mehrheit wollte den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin aus der Vorlage streichen, weil sie damit nicht mehrheitsfähig wäre.

Gilt das Recht auf Ehe für alle?

Im Juni 2020 behandelte der Nationalrat das Geschäft und stimmte mit 132 gegen 52 Stimmen, bei 13 Enthaltungen für eine Vorlage, die die Fortpflanzungsmedizin erlauben solle. Auch der Ständerat beschloss im Dezember 2020 mit 22 gegen 15 Stimmen und bei 7 Enthaltungen Zustimmung zur Vorlage.

Die Frage, ob nicht doch eine Verfassungsänderung nötig sei, wurde in beiden Räten noch einmal breit diskutiert. Der Zuger FDP-Ständerat Mathias Michel brachte den gesunden Menschenverstand ins Spiel:

"Ich habe bei mir in der Familie mit vier jungen, ehefähigen Kindern den Test gemacht. Ich habe ihnen die Verfassung gegeben. Wenn sie den Satz "Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet" lesen, verstehen sie diese Diskussion nicht. (...) Ich fühle mich ihnen gegenüber verpflichtet, zu sagen, im Sinne der Gleichberechtigung, (…) steht dieses Eherecht allen zu, die sich ihm unterwerfen wollen. Denken Sie also einfach an diese Generation, die nach den meisten von uns heiraten wird."

Am 18. Dezember 2020 war es dann endlich soweit: Beide Räte stimmten der Vorlage zu. Die "Ehe für Alle" war beschlossene Sache.

Auf zum Abstimmungskampf!

23 Personen aus den Parteien EDU und SVP, darunter viele Nationalräte, gründeten darauf ein Referendumskomitee. Am Montag, 12. April 2021 reichten Sie die gesammelten Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein. Sie bestätigte inzwischen, dass 50’000 Personen das Referendum unterschrieben haben. So werden wir im September oder November 2021 darüber abstimmen. Eindrücklich, dass die Operation Libero innert kürzester Zeit über 107’000 Unterschriften für die Ehe für alle zustande brachte. Hoffen wir, dass dies ein Vorzeichen für das Abstimmungsresultat ist.

Wir freuen uns jetzt schon, wenn eine überwältigende Mehrheit des stimmenden Schweizervolkes JA zur "Ehe für Alle" sagen wird. Die Zeichen stehen gut, vorausgesetzt, wir führen einen engagierten Abstimmungskampf.

Ob dieser ähnlich verlaufen wird wie bei der Einführung des Partnerschaftsgesetzes? Es hat sich Einiges verändert. Das Lobbying beim Partnerschaftsgesetz musste viel stärker aus der Community und ihren Organisationen kommen. Für die "Ehe für Alle" setzten sich im Parlament bereits einige offen queer lebende Menschen ein. Nationalrätin Tamara Fumicello zum Beispiel vermeldete zu Beginn ihres Statements in der Debatte: "Vorab meine Interessenbindung: Ich bin stolzes Vorstandsmitglied der Lesbenorganisation Schweiz. (…)."

2005 beim Partnerschaftsgesetz betrug die Stimmbeteiligung 56,51%, der Ja-Stimmenanteil lag bei 58%. Ob das zu toppen ist? Die Stimmbeteiligung hängt stark davon ab, über welche weiteren Geschäfte an diesem Tag abzustimmen ist. Darauf haben wir keinen Einfluss. Mit einem engagierten Abstimmungskampf der LGBTI*-Community erscheint es aber ein erreichbares Ziel, den Ja-Stimmenanteil weiter in die Höhe zu treiben.

Die Plattform ist bereit. Auf www.ehefueralle.ch kannst du dich informieren, wie du dich beteiligen kannst oder jetzt schon für die Kampagne spenden.

Ein Vergleich der beiden Prozesse kann aufzeigen, wie sich das gesellschaftliche und politische Klima in den letzten "nur" 15 Jahren verändert hat.  
Wie der Weg zum Partnerschaftsgesetz verlief, ist auf schwulengeschichte.ch nachzulesen. Die Entstehung des nationalen Gesetzes und seiner Vorläufer in einzelnen Kantonen ist im Kapitel Partnerschaftsgesetze ausführlich beschrieben.