Newsletter 189

Seotember 2025

Diese Ausgabe enthält das folgende Thema:

  • Das Karlheinz Weinberger-Archiv - Stand der Dinge

  • Robert Oboussier - Jubiläumsfeiern mit Konzerten 

Das Karlheinz Weinberger-Archiv - Stand der Dinge

Der fotografische Nachlass von Karlheinz Weinberger (1921-2006) ist im Schweizerischen Sozialarchiv eingelagert. Seine hohe Bedeutung für die Sozial- und Schwulengeschichte unseres Landes ist unbestritten. Etliche Bücher erschienen im In- und Ausland. Viel ist also bekannt. Derzeit arbeitet sich ein Team durch die Fülle von Weinbergers Schaffen und entdeckt viel, auch viel Überraschendes. 

Ein Text von David Streiff

Wer mehr über Karlheinz Weinberger wissen will, findet auf der Website karlheinzweinberger.ch die wichtigsten Informationen. Auch steht fest, dass er als Fotograf (sogar international) einen guten Namen hat, und es zu ihm schon recht viele Publikationen gibt. Das in Antiquariaten teuer gehandelte erste Buch, 2000 im Andreas Züst-Verlag erschienen, steht am Anfang einer ganzen Reihe: bisher vier Fotobücher im  Verlag Sturm & Drang, Zürich (Halbstarke 2017, Sports 2018, Mediterraneo 2021 und Rocker 2024) , sowie Rebel Youth, Rizzoli 2011, Jeans, New York und Vancouver 2011, Swiss Rebels, Steidl-Verlag, 2017.

Nichts Neues mehr?

Richtig zu entdecken ist er also nicht mehr, würde man meinen. Ganz anders sieht es dann aber aus, wenn man sich vertieft mit seinem fotografischen Oeuvre auseinandersetzt. Und das tut seit letztem Oktober ein kleines, drei Generationen umspannendes Team. Dieses besteht erstens aus Oliver Mueller, der sich seit langem um die Verbreitung von Weinbergers Fotografien kümmert und der für jedes sich stellende Problem Lösungen findet. Zweitens aus dem nach der Jahrtausendwende geborenen Severin Furer, Mitarbeiter des Schweizerischen Sozialarchivs, der sich mit jugendlichem Blick vom phänomenalen Reichtum dieser Hinterlassenschaft begeistern lässt. Drittens aus mir.

Diese vertiefte Beschäftigung hat keinen Selbstzweck. Sie ist unumgänglich, und ist verursacht durch die turbulente Geschichte, welche der Nachlass durchlaufen hat.

Zum Zeitpunkt, als ich dem 2019 erkrankten und 2020 verstorbenen Erben des Nachlasses, Patrik Schedler, versprach, Präsident einer noch zu schaffenden, Weinberger gewidmeten Stiftung zu werden, ahnte ich nichts von dieser Notwendigkeit. 
Erst als die an verschiedenen Orten gelagerten Teile des Nachlasses (Zürich, Warth TG und Paris) im Sozialarchiv zusammenkamen, wurde deutlich, dass die Bestände über die Jahre durch die verschiedenen Nutzungen für Ausstellungen, Bücher und Transporte hoffnungslos auseinandergerissen worden waren. 

Übersicht gewinnen

Die Übersicht war auch deshalb in diesem Mass verloren gegangen, weil Weinberger selber kaum je etwas beschriftet oder datiert und kein Ordnungsprinzip angelegt hatte, wie es andere Fotografen taten. Er soll alles immer rasch gefunden haben, berichten Zeitzeugen, aber sein Prinzip der Aufbewahrung blieb sein Geheimnis.

So verfügen wir nur selten über originale Legenden zu den Bildern. Nur dank der Hartnäckigkeit von Pietro Mattioli wissen wir etwas mehr. Im Hinblick auf die Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich im Jahr 2000 löcherte Mattioli Weinberger mit Fragen zu den ausgewählten Fotos. Diese Informationen sind im Buch zur Ausstellung abgedruckt, aber auch dort ist alles im Ungefähren und von äusserster Knappheit.

Kurz: wir sahen uns vor die Aufgabe gestellt, eine neue Inventarisierung  zu schaffen, die möglichst jeden Print, jedes Negativ, jedes Dia erfasst und später einen punktgenauen Zugriff auf das gesuchte Thema oder Subjekt erlaubt.

Was war die Lösung? Ganz banal eine Excel-Tabelle für die genannten Kategorien Print, Negativ, Dia, jeweils bei 1 beginnend.

Heute, zum Zeitpunkt dieses Zwischenberichts, haben wir 10 359 Prints (Stand Ende August 2025) einzeln oder in thematischen Gruppen eingetütet und durchnummeriert. Was uns dabei immer wieder überrascht und begeistert, ist die Quantität und Qualität von tausenden Prints, meist 24/18 cm (schwarz-weiss, Vintage, also vom Fotografen kurz nach deren Entstehung abgezogen), die bisher unbekannt geblieben sind.

Dank Publikationen am besten bekannt sind die berührenden Fotografien von Halbstarken der Sechzigerjahre, die später zu Rockern wurden. Ab dann die Bilder der Hells Angels, bei denen Weinberger bis weit über die Neunzigerjahre hinaus exklusiven Zugang hatte. Auch hier sind viele Neuentdeckungen zu melden. Wirklich verblüffend ist hingegen, was wir während der Arbeit an meist männlichen Porträts, Aktfotos, Sportereignissen und Tattoos zu Gesicht bekamen: eine wunderbare Fundgrube für künftige Ausstellungen, Bücher, Editionen, Postkarten.

Wenn wir nächstens mit der Erfassung der Prints fertig sein werden, kommen die Negative dran - Leuchtpulte sind organisiert. Dann die vielen Dias. Dafür steht ein Projektor und eine Leinwand bereit - beides via Ricardo für 50 Franken erworben.

Viel Arbeit in Stille - mit viel Freude

Da wir absolut ohne Geld funktionieren, helfen uns Memoriav und die Heinrich Hössli-Stiftung bei der Entlöhnung von Severin. Wir hoffen, dank Doubletten1, die sich bei diesem punktgenauen Durchforsten der Bestände immer wieder finden, bald einen Webshop einrichten zu können, mittels dem wir eine Einnahmequelle erschliessen würden ohne die Bestände der Stiftung zu schmälern. 

Für die gerahmten Editionen und Fotografien, die den Kunstmarkt interessieren, wird der Kunstvermittler Bob van Orsouw zuständig sein. Für Nutzung von Weinberger-Fotos in den Medien oder in der Werbung haben wir die Agentur Keystone gewinnen können. In New York unterstützt uns Bruce Hackney, der seit vielen Jahren den USA-Markt mit Weinberger-Fotos bedient.

Wenn es also etwas still um Karlheinz Weinberger und unsere Stiftung gewesen ist in letzter Zeit, dann hat das damit zu tun, dass wir derzeit in rückwärtigen Diensten tätig sind, mit anhaltender Freude am uns anvertrauten Material und Bewunderung für diesen aussergewöhnlichen Menschen und grossen Fotografen.

Die Rechte aller verwendeten Bilder liegen bei der Karlheinz Weinberger-Stiftung.

Mehr auf schwulengeschichte.ch:
Homoerotische Fotografie/Karlheinz Weinberger
Besondere Abonnenten/Karlheinz Weinberger
Patrik Schedler, Galerist

Website Karlheinzweinberger.ch
Schwulenarchiv Schweiz

Fussnote:

1 Gemäss dem Archiv-Auftrag, den die Stiftung sich gegeben hat, muss der ganze erhaltene fotografische Nachlass zusammenbleiben, nur zweite oder dritte Abzüge vom gleichen Negativ können veräussert werden: das sind Doubletten.

 

Robert Oboussier - Jubiläumsfeiern mit Konzerten

eos. Im nächsten Newsletter Nr. 190 vom Oktober 2025 werden wir das Oboussier-Projekt vorstellen. Erstmals seit der Ermordung durch einen Strichjungen am 9. Juni 1957 soll wieder Musik des damals gefeierten und berühmten Komponisten aufgeführt werden. Durch seinen tragischen Tod ist Robert Oboussier geoutet und sofort geächtet worden. Mit dieser Tat begann die über zehnjährige Repression gegen Homosexuelle und das totale Verschwinden von Oboussiers Werk bis heute. Endlich wird nun diese Musik neu erklingen.

Mehr zu den geplanten Veranstaltungen sowie Ticketverkauf: www.oboussier.ch