1936
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Guggu-Kampagne
Mit Sarkasmus versuchte man im Schweizerischen Freundschafts-Verband die Gefährlichkeit der Gesamtsituation in Europa, vor allem im Neuen Deutschland, und die Bedrohung durch homophobe Aktivisten in der Schweiz erträglicher zu machen. Aber Misstrauen gegenüber einzelnen Leuten in den eigenen Reihen und Angst vor Fremden, die sich einschleichen könnten, vor "Spitzel, Verräter und Judasse1" nagten an vielen der verunsicherten Mitglieder bereits vor der Guggu-Kampagne.
Für manche war der Austritt und Rückzug in diskrete private Einsamkeit der einzige in dieser Lage vernünftig scheinende Ausweg.
Im selben Jahr kam es auch zum Bruch mit Laura Thoma2:
"Trakt. 5. Die Präsidentin gab die Verdankung an die gew(esene) Akt(uarin) Frl. Thoma zu verlesen, gegen die Protest erhoben wurde. Es bedauern keine Mitglieder, speziell Freunde und Gönner ihren Austritt, sie habe es sich selbst zuzuschreiben, dass es so gekommen sei."
Laura Thoma war ebenso kämpferisch und mutig wie Anna Vock. Sie vertrat konsequent eine Haltung, die heute feministisch genannt würde. Sie war keine "Mammina", sondern kompromisslos und männerfeindlich, was aus ihrer Lebensgeschichte verständlich wird. Sie war schon öfter im Protest ausgetreten und hatte auch eine Konkurrenzgruppe für Frauen zu gründen versucht. Offenbar hatte sie in der Liga keine Freunde mehr.
Guggu traf daher eine bereits wenig stabile Gruppe und hätte mit den Attacken wohl die gänzliche Auflösung bewirkt. Aber da war, einmal mehr, der harte Kern von ein paar fest Entschlossenen, die sich einem klaren Ziel verpflichtet fühlten. Dieses Ziel war die Würde und die Freiheit in Eigenverantwortung des Menschen nicht nur als Homosexueller, sondern allgemein und allgemein gültig. Denn das sei Menschenrecht. Dem Untergang in Deutschland durfte kein Untergang in der Schweiz folgen. Mit diesem Ziel war man nicht allein, da gab es Mitkämpfer. Überall - unter den anderen, "Normalen" genau so.
Anna Vock reagierte auf die Schlammschlacht des Guggu mit einem Offenen Brief3:
"An die Gross-Schlächterei für Homosexuelle, / Alfr. Schlumpf, Red. des 'Güggü', Dufourstr. 140, Zürich 8. Nachdem Sie mich in den letzten Nummern Ihres 'Schmierblättli' wieder in 'empfehlende' Erinnerung bringen, indem Sie meine Adresse in grosser Aufmachung veröffentlichen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass sie dies weiter im Abonnement tun können. Menschen Ihrer Qualität können mich nicht beleidigen! [...] Ihr ins Pathologische gehender Hass auf mich und unseren Verein rührt ja nur daher, weil Sie vor zwei Jahren als Redaktor des Scheinwerfers den Prozess verloren haben. [...] Mit ihrem neuen 'Güggü' sind sie ja nun nicht mehr an die damalige schriftliche Verpflichtung gebunden? [...] Vor mir liegt ein sehr 'interessantes Dossier' Ihres Wirkens [...] und ich kann Ihnen nur verraten, dass ich keinen Anstand nehme, dasselbe Ihren 'Güggü'-Lesern zur Kenntnis zu bringen, wenn Sie mich und unseren Verein noch weiter in die Gosse Ihres 'Elaborates' hinunter ziehen. Ich fürchte Ihre giftige Feder nicht, denn ich habe nichts mehr zu verlieren. Um Stelle und Brot haben Sie mich bereits gebracht und ich kann nun va banque spielen."
Aus Freundschafts-Banner wird Menschenrecht
Auf den 1. Januar 1937 erschien die Zeitschrift neu und adäquat zur Organisation mit dem offensiven (aber auch neutraleren) Namen Menschenrecht.
Auf Beschluss des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 23. Juni 1939 musste Guggu das Erscheinen einstellen. Das Urteil kommentierte die NZZ vom 25. Juni4 und ebenso das Menschenrecht vom 12. Juli5. Es ging um den gesetzlich anerkannten "Schutz der Privatsphäre", der durch Guggu in vielen Fällen erheblich verletzt worden sei.
Ernst Ostertag, Juni 2004
Quellenverweise
- 1
Schweizerischer Freundschafts-Verband Amicitia: Protokollbuch, Eintrag vom 5. Mai 1936.
- 2
Schweizerischer Freundschafts-Verband Amicitia: Protokollbuch, Eintrag vom 11. August 1936.
- 3
Anna Vock: Schweizerisches Freundschafts-Banner, Offener Brief, Nr. 22/1936.
- 4
NZZ, Urteilsbegründung zum Verbot des Guggu, 25. Juni 1939, Nr. 1146.
- 5
Menschenrecht, 9/1939 vom 12. Juli.