1935/1936
Den Widerständen trotzen
Die Neujahrs-Festnummer des Schweizerischen Freundschafts-Banners startete mit Frohmut im festen Glauben an eine bessere Zeit als das Krisenjahr 1934. Noch schlimmer konnte es ja kaum kommen: Scheinwerfer-Kampagne, Verlust des Clublokals und vieler Mitglieder, Fiasko mit Sektionsgründungen in anderen Städten. Es musste trotzdem weitergehen! Die Sache war zu wichtig.
Dennoch, die Lage verschlechterte sich. Die erstarkenden homophoben Strömungen im nationalsozialistischen Deutschland wie in Stalins Sowjetunion beeinflussten ihre Mitläufer in der Schweiz (Nationale Front und Kommunisten). Ihre Hasspropaganda gegen Emigranten, Juden, Zigeuner und Homosexuelle erreichte eine Vielzahl eher unpolitischer Bürger. Auch die Polizei wurde aggressiver.
Die kleine Gruppe von engagierten Homosexuellen musste zunächst ihr Angebot von Annoncen und Freundschaftsanzeigen in der öffentlich erwerbbaren Zeitschrift stoppen und in ein gesondertes "Korrespondenzblatt" verbannen, welches nur noch an die Mitglieder ging.
Wenig später zog man sich gezwungenermassen auch aus der Öffentlichkeit zurück: Das Schweizerische Freundschafts-Banner lag nur noch diskret in den beiden wichtigsten Treffpunkt-Lokalen auf. An Kiosken war es nicht mehr zu kaufen.
Der stufenweise Rückzug ins Ghetto liess andererseits zu, dass Gefühle und Meinungen Aussenstehender nicht mehr berücksichtigt werden mussten. Man wurde radikaler. Es ging ums "Zerstören von Karthago", um die dauerhafte Vernichtung aller fest im Bewusstsein der Mehrheit eingekerbten Vorurteile. Und es ging um die Brandmarkung jener "Verräter an der Sache", die nicht Mitglieder werden wollten, dafür aber, als Unzuchttreibende und Sittenstrolche in Parks und Toiletten aufgegriffen, für fette Schlagzeilen in Gerichtsberichten sorgten. Damit bewirkten sie kontraproduktiv und regelmässig die Erneuerung und Festigung der alten Vorurteile.
Die Lage war nicht hell und heiter und die Zukunft schien nicht hell und heiter zu werden. Vielmehr war beides düster, unsicher, beängstigend. Solange man noch konnte, wollte man aktiv bleiben und sich in der Gruppe solidarisch fühlen.
Ernst Ostertag, September 2010