1933-1935

An die Mitglieder!

Auf "die Schwere der Zeit" wies Präsidentin Anna Vock mit dem Aufsatz "Zweck u. Ziel des Schweiz. Freundschafts-Verbandes"1 hin:

"Gleichgeschlechtlich liebende Menschen, Männer wie Frauen (Homosexuelle) gab es zu allen Zeiten und wird es geben, so lange die Welt besteht. [...] Gegen diese kleine Minderheit haben nun die meisten Länder Strafparagraphen in ihre Gesetze aufgenommen, immer vom Bestreben geleitet, diese Kategorie von Menschen zu unterdrücken und auszumerzen. Der Erfolg war überall ein negativer, was am besten das heutige Deutschland beweist. Trotz der vollständigen Unterdrückung gibt es dort keinen einzigen Homosexuellen weniger als früher. [...] Der neueren und neuesten Zeit war es vorbehalten, an Hand eines reichen Tatsachenmaterials nachzuweisen, dass die Veranlagung zur Homosexualität angeboren und in den Naturgesetzen verankert ist, demzufolge eine Ächtung oder gar Verfolgung dieser Menschen eine brutale Ungerechtigkeit ist und Menschenrecht und Christenpflicht direkt ins Gesicht schlägt. [...]"

Unter dem Zwischentitel "Was ist nun der Zweck dieser Organisation?" fuhr sie fort:

"Vor allem der Zusammenschluss aller gutgesinnten und moralisch einwandfreien Männer und Frauen. [...] Als ersten Programmpunkt unserer Statuten bekämpfen wir sodann die Prostitution in jeder Form. [...] Unsere Mitglieder haben die strenge Pflicht, die bekannten 'Fleischmärkte' zu meiden und damit beizutragen, diesen 'Schandfleck' zum Verschwinden zu bringen. [...] Wenn irgendwo der Begriff 'Freundschaft' in des Wortes tiefster Bedeutung und bis zur letzten Konsequenz in Wirklichkeit und Wesen zu finden ist, dann soll sie in erster Linie bei uns Artgenossen zu finden sein, da sie Leib und Seele umfasst."

Aus dem letzten Abschnitt "Und nun das Ziel unseres Verbandes":

"[...] Wir wollen keine Sonderrechte, uns auch niemals auf unsere Veranlagung etwas einbilden, denn das wäre grotesk. Was wir wollen, das ist die Anerkennung unserer Art und das Recht auf unsere Liebe, so wie wir nun einmal veranlagt sind, ohne deshalb befürchten zu müssen, in den Fussangeln veralteter Gesetze hängen zu bleiben. [...] Wir erstreben die allgemeine Achtung und Respektierung unserer Artgenossen, gehören sie nun dem Arbeiterstande oder höheren Berufen an. Kein Lehrer, Beamter oder Angestellter soll geächtet oder in seinem Amte benachteiligt werden, deshalb, weil er homosexuell ist."

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Ernst Ostertag, Juni 2004

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Anna Vock

Quellenverweise
1

Anna Vock: Schweizerisches Freundschafts-Banner, 9/1934 vom 1. Mai.