Verfolgung
Gnadenlose Verfolgung während zehn Jahren
Das St. Galler Urteil wegen widernatürlicher Unzucht von 1880 war für Forster erst der Anfang einer kaum vorstellbaren Folge von Verhaftung, Erniedrigung, Einkerkerung und erneuter Verfolgung. Auch ein auf acht Seiten begründetes Begnadigungsgesuch1 blieb unberücksichtigt. Verfasst hatte es kein Geringerer als Karl Heinrich Ulrichs im Exil bei Neapel, datiert vom 11. Juli 1881. Für die Begnadigung wäre das Kantonsparlament zuständig gewesen, aber das Gesuch kam so spät an, dass Forster seine Strafe praktisch verbüsst hatte.
Forster wurde in Gefängnisse, in die Arbeitserziehungsanstalt und Irrenhäuser gesteckt. Nach jeder Entlassung begann er wieder sein Geschäft neu aufzubauen. Hatte er es über kürzere oder etwas längere Zeit betrieben, wurde er erneut verhaftet und wieder nach denselben Kriterien verurteilt und eingesperrt. Die Städte Bern, Zürich, St. Gallen und weitere Gemeinden verweigerten ihm, dem Kantons- und Schweizerbürger, die Niederlassung.
Seine Beschwerden, Gesuche und Rekurse wurden alle abgeschmettert.
Aus der Begründung des Regierungsrats des Kantons St. Gallen vom 7. November 1887:
"[...] namentlich angesichts des Umstandes, dass Forster als entschieden geistig abnorm beanlagter, an konträrer Sexualempfindung leidender Mensch für die Moralität einer Gemeinde als besonders gefährlich bezeichnet werden muss; [...] wird beschlossen: Der Rekurs sei als unbegründet abgewiesen."
Dies war die "Rache", weil Forster ein Jahr zuvor das von den Behörden gemachte Angebot einer staatlich bezahlten Auswanderung nach Buenos Aires abgeschlagen hatte.
Daraufhin musste Forster seinen damaligen Wohnort Tablat (heute St. Gallen-St. Fiden) verlassen:
"Laut Mitteilung des eidgen. Justiz- und Polizeidepartements in Bern sind Sie mit Ihrem Rekurs gegen den Ausweisungsbeschluss des Gemeinderates von Tablat abgewiesen worden, und ist somit der letztere in Kraft erwachsen. Es wird daher verfügt, dass Sie die Gemeinde Tablat bis kommenden Donnerstag, den 11. Juli abends, zu verlassen haben, ansonst die polizeiliche Abschiebung erfolgen wird."
Forster zog ins damals noch selbständige Aussersihl (Zürich). Dort fand er Freunde, ging wieder neu seinen gewohnten Geschäften nach und erwarb sich bald ein kleines Vermögen. Die Zeiten schienen sich endlich geändert zu haben. Allerdings wurde er 1896 auch in Zürich nochmals verhaftet und ins Burghölzli (Irrenanstalt, heute Psychiatrische Universitätsklinik) zur Untersuchung eingewiesen.
Autobiografie, Seite 165
"Allein ich glaube, dass man eben gar keinen Anhaltspunkt findet, mich zu verscheuchen und obendrein einen öffentlichen Skandal befürchtet, wenn man hinter mich geraten wollte, da ich eben die hiesige Urningswelt so ziemlich kenne und Personen darunter sind, bei deren Namen die liebe gute Obrigkeit gezwungen wäre, stehen zu bleiben, was ja nur zu loben wäre, wenn man den armen Teufel auch seiner Natur huldigen liesse."
Ernst Ostertag, Januar 2004, Philipp Hofstetter/René Hornung, Mai 2024
Quellenverweise
- 1
Jakob Rudolf Forster: Begnadigungsgesuch. Das Original befindet sich im Staatsarchiv St. Gallen und Kopien davon im Schwulenarchiv Schweiz (sas) in Zürich und in der Landesbibliothek in Bern.