Verurteilt
...wegen "Unzucht", Errichtung der Dichterklause zur Jakobszelle
1842 zog sich Jakob Stutz aus der Öffentlichkeit zurück. Denn zuvor war er wegen "Unzucht" in Zürich stellenlos geworden und eine weitere Tätigkeit (von 1836 bis 1841) als Lehrer in Schwellbrunn (AR) hatte aus demselben Grund mit Verurteilung, Busse und Kantonsverweisung geendet. So erbaute er sich in der Einsamkeit um Sternenberg im Zürcher Oberland eine "Dichterklause", die er "Jakobszelle" nannte. Er war festen Glaubens und guter Hoffnung, jetzt endlich vor jeder neuen Versuchung sicher zu sein.
Bald scharte sich eine Gruppe junger Anhänger um ihn, den sie als Meister und begnadeten Erwachsenenbildner verehrten. Zusammen gaben sie sich den Namen "Zürcher Oberländer Dichterschule". Nebst Schriftstellerei und Dichtkunst leitete Jakob Stutz die Freunde auch zu sozialreformerischen Zielsetzungen an, weil diese der eigentliche Sinn und Auftrag des Schreibens sein sollten, wie er immer wieder betonte. Auf seine Initiative wurden die ersten Leihbibliotheken für Schüler eingerichtet. Er unterrichtete auch Musik (Gesang und Gitarrenspiel), liess Schüler- und Laientheater entstehen (wobei er die Stücke meist selbst verfasste, inszenierte und ausstattete) und gründete zudem die ersten Schüler- und Volkssparkassen. Es ging ihm nicht nur um einen wesentlichen Ausbau der Volksschule, sondern auch um sinnvoll gestaltete Freizeitbeschäftigungen für Kinder und Jugendliche. Damit war er seiner Zeit um gute 80 Jahre voraus.
In der Jakobszelle vollendete er auch sein zweites Hauptwerk "Sieben Mal sieben Jahre aus meinem Leben" mit dem Untertitel "als Beitrag zu näherer Kenntnis des Volkes", das 1853 erstmals gedruckt vorlag und sofort grosse Beachtung fand. Darin schilderte er nicht nur seine Jugend, die glücklichen wie die schweren Jahre, sondern gab auch ein genau beobachtetes, authentisches Bild des Lebens auf dem Land zu jener Zeit, das so farbig und eindrücklich gezeichnet ist, dass es selbst heutige Leser zu fesseln vermag. Es ist "die erste relevante sozialgeschichtliche und völkerkundliche Quelle des Zürcher Oberlandes", wie Bernhard A. Gubler im Vorwort der Neuausgabe von 2002 schrieb.
Ernst Ostertag, Januar 2004